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Das Geschenk der Gottesherrschaft

Das Urteil, das Jesus nach Lk 7,28 über den Täufer fällt, wirkt auf den heutigen Bibelleser merkwürdig. Man hat den Eindruck, daß Jesus die Bedeutung des Täufers zunächst über alle Maße hervorheben will, ihn dann aber unvermittelt abzuwerten sucht. Dieser Eindruck verschärft sich noch, wenn man den Spruch im Zusammenhang liest: Jesus bestätigt ausdrücklich die Meinung des Volkes, der Täufer sei ein Prophet gewesen - ja er steigert sie noch, indem er ihn über die Propheten erhebt und ihn als den Boten der Endzeit bezeichnet (Lk 7,24-27). Dazu aber scheint dieser Schlußsatz Lk 7,28 dann doch in krassem Widerspruch zu stehen. Wie passen die unterschiedlichen Aussagen zusammen?

Wir sollten uns zunächst vor Augen führen, daß Jesus vor Menschen redet, die den Täufer sehr hoch schätzen - und daß er ihre Meinung teilt: Der Täufer ist auch nach Jesu Meinung mehr als ein Prophet - er ist der endzeitliche Bote, der dem Kommen des Herrn den Weg bereitet. Deshalb gibt es unter den Menschen keinen Größeren als Johannes, er überragt von seinem Auftrag her alle Sterblichen. Aber - und auch das möchte Jesus sagen - die Welt ist nicht mehr wie sie war. Seitdem das Kommen der Herrschaft Gottes verkündigt wird, ist ein neuer Anfang da, der alles, was zuvor war, übersteigt. In dieser neuen Ordnung wird selbst der Kleinste größer sein als Johannes im Rahmen der bisherigen Geschichte.

Das Urteil Jesu will also nicht Johannes abwerten, sondern die Größe der Gottesherrschaft herausstellen. Jeder, der sich von ihr aufnehmen läßt, wird eine Vollendung des Lebens erfahren, die über alle Vorstellungen hinausgeht.

Jesus greift oft auf zugespitzte Vergleiche zurück, um den Jüngern die Größe dieses Geschenks vor Augen zu stellen: "Könige und Propheten haben sehen wollen, was ihr seht, und haben es nicht gesehen, und wollten hören, was ihr hört, und haben es nicht gehört" (Lk 10,24).

An dieser Stelle geht er noch darüber hinaus und sucht die Größe des Geschenks durch den Vergleich mit dem von allen hochgeschätzten Täufer zu verdeutlichen: Unter allen Menschen mag von Geburt her Johannes als der Größte gelten - die Gottesherrschaft aber ist ein völlig neuer Beginn, der ganz neue Bedingungen schafft und uns über unsere nur irdischen Möglichkeiten erhebt. Das macht den Spruch dann unversehens auch für den heutigen Bibelleser aktuell.

Prof. Claus-Peter März, Theologische Fakultät Erfurt