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Der Mensch und die Mächte

Auch heute muß man seinen Besitz im Auge behalten: Wir hören jeden Tag von immer raffinierter ausgeklügelten Einbrüchen, von gewalttätigen Überfällen, von Betrügern, die andere um ihr Erspartes gebracht haben. Die Szene, die Jesus erzählt, wirkt dagegen einfacher, aber brutaler: Wem auch immer der Hof zustehen mag, am Ende gewinnt der, der sich als der Stärkere erweist. Jesu Zeitgenossen war diese Vorstellung vertraut. Die meisten von ihnen werden an die Römer gedacht haben, die mit ihrer militärischen Überlegenheit den gesamten Mittelmeerraum in ihre Gewalt gebracht hatten und denen keine Macht auf Erden mehr gefährlich werden konnte. Rom hatte sich als der Stärkere erwiesen und alle, die zuvor die Macht ausgeübt hatten, ausgeschaltet. Viele Starke waren durch einen Stärkeren abgelöst worden.

Jesus nimmt diese Vorstellung vom gewaltsamen Machtwechsel auf, um eine neue Chance des Menschen anzusprechen: Da hat ein Starker einen Hof, eine Burg oder ein Kastell in Besitz genommen, und er will das, was er in die Hand bekommen hat, auch festhalten. Deshalb bewacht er den Hof und wird ihn auch freiwillig nicht räumen. Doch dann kommt ein Stärkerer. Er besiegt den Starken, nimmt ihm seine Waffen und entmachtet ihn. Wir würden erwarten, daß der Sieger nun seinerseits den Hof besetzt und ihn ebenso bewacht wie zuvor der andere. Davon aber ist nicht die Rede. Dieser Sieg bringt dem besetzten Land nicht eine neue Herrschaft, sondern Freiheit.

Jesus möchte mit diesem Bildwort Skeptikern die Bedeutung seiner Dämonenaustreibungen verdeutlichen. Sie haben nichts mit Magie oder dunkler Beschwörung zu tun. Sie sind vielmehr Zeichen der Macht Gottes, die den besetzten und sich selbst entfremdeten Menschen freisetzt. In Jesus erweist sich Gott als der Stärkere, der das ausschaltet, was als dunkle Macht den Menschen besetzt. Dabei spricht Jesus nicht nur vom Extremfall des krankhaft Besessenen. Auch die Gesunden sind nicht so frei, wie sie selbst es vielleicht meinen. Sie haben sich nicht in jeder Hinsicht in der Hand, sondern sind immer auch von Mächten bestimmt und manchmal auch besetzt. Zu diesen Menschen, die in vielfacher Weise unfrei sind, weiß sich Jesus als Bote der von Gott geschenkten Freiheit gesandt. Seine Botschaft will befreien von Mächten, die bestimmen und besetzen: vom Zwang, vergelten zu müssen, vom Drang, sich durchsetzen zu müssen, von der Sucht, besitzen zu müssen ...

So rückt uns das Bildwort vom Starken und vom Stärkeren dann doch auf den Leib. Es stellt uns zunächst ganz einfach die Frage, wie frei wir wirklich sind? Von welchen Mächten, Süchten, Vorlieben, Abneigungen und Eitelkeiten wir bestimmt sind? Ob wir in einem Bereich unseres Lebens fremdbestimmt oder abhängig geworden sind? Das Bildwort fragt weiter, ob die Orientierung am Wort und am Weg Jesu einen neuen Horizont eröffnen könnte: Ob wir von ihm her eine neue Aufmerksamkeit für andere Menschen und andere Wege finden könnten? Ob wir uns nicht in den vielen kleinen Schritten, die wir in seiner Nachfolge gehen sollten, auf neue Weise finden könnten?

Prof. Claus-Peter März, Theologische Fakultät Erfurt