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Schreibe den Gemeinden in der Asia

Die Offenbarung des Johannes wird nur dann zum "Schreckensbuch", wenn wir die geschichtlichen Hintergründe ihrer Entstehung nicht im Auge haben. Um zu verstehen, was in diesem Buch vom Ende des ersten Jahrhunderts nach Christus verhandelt wird, müssen wir uns in dieses "fremde Gespräch" zunächst einmal "einhören". Stellen wir deshalb, um ein wenig mehr über die Zusammenhänge zu erfahren, drei simple Fragen: Wem ist die Schrift ursprünglich zugedacht? Wer hat sie verfasst? Was will der Verfasser mit dieser Schrift bei den Empfängern bewirken?

Problemlos lässt sich die erste Frage beantworten: Die Offenbarung des Johannes ist ein "Rundbrief" an die christlichen Gemeinden von Ephesus, Smyrna, Pergamon, Thyatira, Sardes, Philadelphia und Laodizäa. Ein Blick auf die Karte zeigt: Alle sieben Städte befinden sich in der römischen Provinz Asia (heute südliche Türkei). Sie sind durch das von den Römern erneuerte Straßennetz eng miteinander verbunden. Die Siebenzahl weist darauf hin, dass in den genannten Gemeinden die gesamte Kirche der Provinz Asia angesprochen ist. Das Gebiet hat unter römischer Herrschaft einen beachtlichen wirtschaftlichen Aufschwung genommen, von dem man auch in den christlichen Gemeinden profitiert hat. Viele Christen leben ohne Berührungsängste in der aufgeklärten Stadtgesellschaft, auch wenn diese durch vielerlei Bezüge zum heidnischen Opferkult durchzogen ist. Sie empfinden dies nicht als Abfall vom christlichen Glauben, sondern als notwendigen Tribut an gesellschaftliche Konventionen.

Schwieriger als diese Frage ist die nach dem Verfasser: Sein Name ist "Johannes". Er ist kein Gemeindeleiter, hat auch sonst kein spezielles Amt in einer der angesprochenen Gemeinden, sondern kommt von "außen". Wir haben in ihm einen jener frühchristlichen "Propheten" vor uns (Offb 22,9), die als wandernde geistliche Lehrer durch die Gemeinden zogen. Viel spricht dafür, dass jener Prophet Johannes, um den es uns hier geht, aus Palästina stammt. Das heißt: Er bringt andere Vorstellungen über den christlichen Glauben mit, als er sie in den kleinasiatischen Gemeinden vorfindet. Die Einbindung vieler Christen in die offene hellenistische Stadtgesellschaft, die Toleranz gegenüber der von heidnischer Kultpraxis durchzogenen Öffentlichkeit empfindet er bereits als Glaubensabfall. Sein Wirken in den kleinasiatischen Gemeinden hat deshalb ohne Zweifel auch zu Auseinandersetzungen, zu Kritik und Ablehnung seiner Botschaft geführt, die viele als zu rigoristisch empfunden haben dürften.

Kommen wir zu unserer dritten Frage: Warum schreibt ein palästinensischer Wanderprophet den Gemeinde in Kleinasien einen so umfangreichen und inhaltsschweren Brief? Was will er bei den Gemeinden bewirken? So viel ist gewiss: Er möchte, nachdem er in den Gemeinden auch Ablehnung und Kritik erfahren hat, nochmals gebündelt zu einer entschiedeneren christlichen Lebensweise aufrufen. Seiner Meinung nach passen sich zu viele an die heidnische Gesellschaft an. Nicht wenige nehmen an Tempelmahlzeiten teil, weil es die gesellschaftliche Konvention so verlangt, und essen unbekümmert das Fleisch, das für heidnische Opfer geschlachtet wurde. Sie haben sich unter der römischen Herrschaft eingerichtet, die Straßen baut, Sicherheit bietet und Handel und Gewerbe aufblühen lässt. Natürlich müssen sie dafür Konzessionen machen: Steuern zahlen, die Oberhoheit des Kaisers akzeptieren und irgendwie auch hinnehmen, dass man ihn als "Herrn und Gott" verehrt.

Einig sind sich der Prophet und seine Kritiker in den Gemeinden darüber, dass man dort wo man zum Bekenntnis herausgefordert wird, Christus nicht verleugnen dürfe. Uneinig sind sie sich über das "normale" Leben des Christen in der Gesellschaft: Wie der angstfreie Umgang mit Andersdenkenden, die Teilnahme am öffentlichen Leben, die Nutzung gesellschaftlicher Verbindungen zu bewerten seien. Die Kritiker werden geltend gemacht haben, dass Glaube sich immer in einer konkreten Gesellschaft bewähren muss. Der "Prophet" sieht in dieser heidnischen Stadtkultur das Werk des Widersachers, in dem sich bereits das baldige Ende ankündigt. Er wirft seinen Kritikern vor, dass sie den Ernst der Lage nicht erkennen und hält ihnen das Gericht als Konsequenz ihres Weges vor Augen. Wir treffen somit in der Offenbarung des Johannes in der Tat auf ein "Gespräch", dessen Thematik uns nicht fremd ist, und mit dessen Grundproblem wir durchaus vertraut sind: Ist der Weg des Propheten der angemessene, oder sehen seine Kritiker klarer, was die Stunde geschlagen hat? Oder sind vielleicht immer beide Stimmen zu hören?

Prof. Claus-Peter März, Theologische Fakultät Erfurt