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Die Tempeloberen und der Galiläer

Was ist eigentlich damals in Jerusalem wirklich geschehen an jenem Paschafest, als man Jesus gekreuzigt hat? Wer hatte ein Interesse daran, ihn beiseite zu schaffen? Wer hat im Hintergrund die Fäden gezogen? Oder war alles vielleicht doch nur eine Verkettung unglücklicher Umstände?

Eigentlich beginnt alles ganz "normal": Jesus zieht ebenso wie tausende von frommen Juden nach Jerusalem hinauf, um - wie es Vorschrift ist - in den Mauern der heiligen Stadt das Paschamahl zu essen. Doch der Anfang hat seine Besonderheiten: Denn dieser Jesus von Nazareth ist nicht ein Festpilger wie die anderen auch. Seine Botschaft vom Kommen des Reiches Gottes hat Aufsehen erregt und unter dem Volk von Galiläa eine große Bewegung angestoßen. Selbst die Tempeloberen und der Hohe Rat in Jerusalem haben dies zur Kenntnis nehmen müssen. Sie, die seit jeher auf den Ausgleich mit der römischen Besatzungsmacht aus waren, fragen sich, ob dieser Prophet aus Galiläa nicht eine politische Gefahr darstellt und es deshalb nicht besser wäre, sein Wirken ein für allemal zu unterbinden (Joh 11,47-53). So ist die Situation gespannt: Zwar knüpfen sich große Erwartungen an den Mann aus Nazareth, zugleich aber fragen sich viele, ob er nicht vielleicht doch auf gleiche Weise enden wird wie Johannes der Täufer (vgl. Joh 11,54-57, auch Lk 13,31-33).

Schon die Ankunft Jesu vor Jerusalem ist bemerkenswert: Seine Begleiter jubeln und preisen das Kommen der Königsherrschaft Davids, das sie mit seiner Ankunft in der Heiligen Stadt verbinden (Mk 11,11). Jesus aber erinnert daran, daß der kommende Friedensbringer unerwartete Wege gehen müsse: Arm müsse er kommen und wehrlos, nicht auf einem Streitroß sitzend, sondern auf einem Esel als König ganz anderer Art müsse er kommen (Sach 9,9). Noch ahnen die Jünger nicht, welcher Weg sich hinter dieser Korrektur verbirgt (Joh 12,16).

Noch eindrücklicher ist ein anderes Ereignis jener Tage: die Tempelreinigung. Jesus "reinigt" dabei nicht etwa den gesamten Tempelplatz, er unterbricht auch nicht den Kult am Heiligtum. Dies alles wäre für einen Einzelnen kaum zu realisieren gewesen und hätte zudem schon im Tempel zu seiner Verhaftung geführt. Jesus setzt vielmehr ein Zeichen für die Heiligkeit des Ortes, die keinen Handel und auch nicht andere Profanierungen zuläßt (Mk 11,15-17). Auch wenn es sich dabei zweifellos nur um eine begrenzte Aktion handelt, führt diese doch zu einer scharfen Auseinandersetzung mit dem Tempeloberen (Mk 11,27-33). Mehr noch: Bei den Hierarchen verfestigt sich aufgrund dieses Geschehens die Vorstellung, daß man, um Schlimmeres zu verhüten, unverzüglich gegen ihn vorgehen müsse (vgl. Mk 11,18).

Jesus aber zieht sich zunächst aus der Öffentlichkeit zurück. Wir hören von einem internen Mahl in Bethanien (Mk 14,3-9) und von Gesprächen mit den Jüngern (Mk 13); das vierte Evangelium spricht ausdrücklich davon, daß er sich verbirgt (Joh 12,36). Die Tempelobrigkeit läßt deshalb freilich nicht von ihm ab. Sie findet in Judas Iskarioth, einem der Zwölf, einen Verbündeten, der ihnen Jesus, ohne daß ihr Zugriff größeres Aufsehen erregt, in die Hände spielen will (Mk 14,1f.10f). In diesem Komplott spielt die Paschanacht eine entscheidende Rolle. Denn wenn Jesus tatsächlich das Paschamahl essen will, muß er in die Stadt kommen und ist damit für das Synhedrium erreichbar.

So wird das Paschamahl für Jesus zum Abschiedsmahl: Er spricht offen aus, daß er nicht nur um den Ernst der Stunde weiß, sondern mit seinem gewaltsamen Ende rechnet (Mk 14,18-21). Den zum Mahl gehörenden Gesten Brotbrechen und Segensbecher gibt er einen dieser Stunde angemessenen Sinn: In ihnen eignet er sich selbst als der, der in den Tod geht, seinen Jüngern zu (Mk 14,22-24). Auch wenn dieses Mahl seine irdische Tischgemeinschaft mit den Jüngern beendet, schaut er doch aus auf daß Reich Gottes, in das hinein sich sein Weg vollenden wird (Mk 14,25).

Nach dem Mahl zieht sich Jesus mit seinen Jüngern in einen Garten auf den Ölberg zurück (Mk 14,26). Dorthin führt Judas, der um dieses Vorhaben weiß, die Ordnungskräfte des Synhedriums. Jesus wird verhaftet, seine Jünger fliehen; der Versuch des Petrus, ihm zu folgen, nimmt ein klägliches Ende.

Eigentlich ist damit schon alles entschieden: Die Tempeloberen haben ihr Vorhaben umgesetzt. Jesus ist in Gewahrsam, der engere Anhängerkreis ist verschreckt und flieht aus Jerusalem. Und all das ist mit Judas' Hilfe fernab von der Öffentlichkeit geschehen. Der Zugriff hat weder die Festfeiern gestört, noch zu Aufregungen unter den Festpilgern geführt (Mk 14,1f).

Prof. Claus-Peter März, Theologische Fakultät Erfurt