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Ein großes Zeichen erschien am Himmel

Am Schluß dieser Reihe von Weihnachtsgeschichten soll über einen Text nachgedacht werden, der nur selten mit Weihnachten in Verbindung gebracht wird: "Und es erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet, und der Mond unter ihren Füßen und auf dem Haupt eine Krone von zwölf Sternen. Sie war schwanger und schrie vor Schmerz in ihren Geburtswehen. Ein anderes Zeichen erschien am Himmel: ein Drache, groß und feuerrot...Und er trat vor die Frau, die gebären sollte; er wollte ihr Kind verschlingen, sobald es geboren war...."(Offb 12,1-6.13-17). Keiner wird abstreiten können, daß es sich um eine Geburtsgeschichte handelt: Denn das Kind, das geboren werden soll und von dem Drachen bedroht ist, steht im Zentrum der Geschichte. Man wird auch nicht bestreiten können, daß es sich um eine Geschichte von der Geburt Jesu handelt, denn das Kind ist in der Folge eindeutig als Messias und Retter Israels gezeichnet.


Der Text hat freilich eine ganz eigene Prägung, die ihn von den anderen Weihnachtsgeschichten unterscheidet: Das Geschehen findet nicht in Bethlehem, nicht in einem Stall, nicht in einer Krippe statt, sondern zwischen Himmel und Erde. Nicht um Kaiser Augustus, um Quirinius, um Herodes oder um eine Steuerschätzung geht es, sondern um den die ganze Schöpfung erfassenden Kampf zwischen Gott und dem Widersacher. So werden denn auch Bilder gezeichnet, die den ganzen Kosmos umgreifen: Eine Frau, bekleidet mit aller Schönheit der Schöpfung - die Sonne als Gewand, der Mond als Stütze des Fußes, die Sterne als Diadem für das Haupt. Und ein großer, feuerroter Drache als bedrohliches Gegenbild - mit vielen Köpfen, vielen Hörnern, vielen Kronen und vor allem mit der Macht, den Kosmos zu schädigen. Die Frau, die für das Gottesvolk steht, ist im Begriff zu gebären: ein Kind, in dem diese Welt sich aus aller Bedrohung und Verschlossenheit neu finden soll. Der Drache - das Bild für den Widersacher - belauert sie, um das Kind zu verschlingen und mit ihm die Hoffnungen der Welt zu vernichten. Ein kosmisches Drama tut sich auf: Die Zukunft der Welt steht auf dem Spiel, die Lebenslinie der Menschheit droht abgeschnitten zu werden.


Doch Gott hütet in seiner Treue die Zukunft der Menschen: Das Kind wird vor dem Zugriff des Drachen geschützt und zu Gott entrückt. Die Frau wird in die "Wüste" versetzt und dort genährt. Nur die "anderen Kinder" der Frau trifft für kurze Zeit der ohnmächtige Grimm des Drachen, der weiß, daß ihm - da das Kind gerettet ist nur noch kurze Zeit bis zur vollständigen Entmachtung verbleibt. Hier wird nicht erzählt, was gewesen ist. Hier wird auch nicht kundgetan, was kommen soll. Hier werden Bilder gezeichnet, die dem Leser die wirklichen Dimensionen des Geschehens eröffnen sollen. Der, der so schreibt, möchte seinen Lesern vor Augen halten, daß es bei der Geburt Jesu um die Zukunft von Himmel und Erde und um die letzte Vollendung des Menschengeschlechts ging. Die, denen die Weihnachtsgeschichte in dieser Weise erzählt wurde, waren bedrängte Christen in Kleinasien. Sie litten unter dem Zugriff Roms und wurden wegen ihres Bekenntnisses zu Jesus Christus verfolgt. Für sie war diese "kosmische Weihnachtsgeschichte" ein Trost: Es geht nicht nur um Rom und die Christen. Es geht vielmehr um den Widersacher, der die Hoffnung der Menschen zu Fall bringen will, und um die unerschütterliche Treue Gottes, der zu dieser Welt steht. Wenn der Widersacher euch auch schädigen kann, die Hoffnung der Welt hat er nicht töten können, er hat die Wurzeln nicht abschneiden können - das Kind, die Hoffnung, das neue Leben sind uns geblieben. Gottes Treue hat sich uns in ihm neu zugewandt, und in dieser Treue seid ihr auch dann aufgehoben, wenn ihr eure Treue mit einem hohen Preis zu bezahlen habt. Vielleicht kann gerade diese "Geschichte", in der auf Tod und Leben von Weihnachten erzählt wird, daran erinnern, daß es bei diesem Fest nicht nur um friedliches Feiern, sondern in der Tat um Ganze geht.


Da sind wir auch schon bei denen, denen diese Geschichte erzählt worden ist: Die "anderen Kinder der Frau". Es sind bedrängte Christen in Kleinasien - unsicher sind sie, wie sie sich angesichts der politisch-religiösen Macht des römischen Staates angemessen verhalten sollen; immer auch von Nachstellungen bedroht, fragen sie, wie sie denn ihr Glaube in all den Nöten trage und schütze. Die Antwort des Sehers der Apokalypse ist deutlich: Ihr seid dem letzten Grimm des eigentlich bereits entmachteten Widersachers ausgesetzt, es gibt kein Wunder und kein Zauberwort, das euch vor diesem Zugriff bewahren könnte. Aber ihr braucht ihn nicht zu fürchten und könnt ihm - wenn dies denn von euch verlangt würde - selbst unter Einsatz eures Lebens widerstehen. Auch das ist Weihnachten.

Prof. Claus-Peter März, Theologische Fakultät Erfurt