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"In jener Zeit erließ Kaiser Augustus einen Befehl ..."

Viele Menschen empfinden gerade die Weihnachtsgeschichte nach Lukas (Lk 2,1-21) als Zusage des weihnachtlichen Friedens für "alle Menschen guten Willens". Auch die Zeitgenossen des Lukas werden diese Geschichte als Trost aufgenommen, sie aber doch anders gehört haben als wir. Sie wußten nämlich zumeist aus eigener Anschauung, mit welcher Härte Rom von den unterworfenen Völkern Steuern und Tribut eintrieb. Sie hatten noch vor Augen, daß nach dem Tod des Königs Herodes (4 v.Chr) dieses römische Steuersystem schrittweise auch für Israel durchgesetzt wurde. Schon 6 n.Chr. hatte man in Judäa Steuerschätzungen vorgenommen. Mehr noch: Die damaligen Leser wußten, daß just in dieser Zeit Judas der Galiläer zum Aufstand rief, weil er "es für einen Frevel erklärte, wenn sie bei der Steuerzahlung bleiben und neben Gott irgendwelche sterblichen Gebieter auf sich nehmen würden" (so der jüdische Historiker Josephus Flavius).


Man wußte also zur Zeit des Lukas noch, daß aus den Anordnungen des Kaisers Augustus, der sich als Friedensherrscher feiern ließ, für Judäa und ganz Israel kein Frieden, sondern Krieg erwachsen war: Zunächst 70 Jahre terroristischer Gewalt, die zum Teil mit schrecklichen Massakern verbunden waren, dann in den Jahren 66-70 n.Chr. der große jüdische Krieg, in dem der Tempel zerstört und das Ende der staatlichen Eigenständigkeit Israels für fast 2000 Jahre besiegelt wurde.


Das alles stand dem damaligen Leser vor Augen, ja er wurde durch den Text buchstäblich darauf gestoßen: Vier Mal nämlich erscheint in den wenigen Versen das Reizwort "aufschreiben" oder "Aufschreibung".


Dem Kaiser ist ein Kind gegenübergestellt, und auch dieses Kind ist mit einem politischen "Reizwort" behaftet: "David" - in der Stadt Davids wird es geboren, dem Geschlecht Davids ist es entsprungen, auf dem Thron Davids soll es herrschen, erstgeborener Sohn aus der Familie Davids ist es. "David", das hieß im damaligen Israel: Der Traum politischer Eigenständigkeit, die Hoffnung auf weltpolitische Größe Israels, das Ende der Herrschaft der fremdstämmigen Herodes-Familie. "David", das bedeutete im Klartext: Krieg gegen die Feinde Israels.


Viele Hoffnungen richteten sich dabei auf das Kommen eines von Gott besonders legitimierten Davidssproß. Ihm weisen die Erwartungen die Aufgabe zu, in einem letzten heiligen Krieg das Land von den Feinden zu befreien und die Freiheit Israels herbeizuführen. Ein Gebet aus dem 1. Jh. v. Chr., das unter anderem die Pharisäer beteten, spricht dies auch ohne Scheu aus: "Sieh zu Herr, und richte ihnen ihren König, den Sohn Davids, auf zu der Zeit, die du ausersehen, o Gott, über Israel, deinen Knecht zu herrschen, und umgürte ihn mit Stärke, zu zermalmen ungerechte Fürsten, zu reinigen Jerusalem von Heidenvölkern..., mit eisernem Stab zu zerschlagen all ihren Bestand" (Psalmen Salominis 17,21-24).

Das Kind hat solchen Erwartungen nicht entsprochen - es wäre auch ganz gegen die Intention seines Kommens gewesen. Der Leser, der die ganze Jesusgeschichte kennt, weiß, daß das Kind in der Krippe schon auf das Ende verweist: auf den, der als machtloser "König der Juden" vom römischen Prokurator Pontius Pilatus gekreuzigt wird.

Wer diesen Hintergrund mithört, weiß: Hier ist nicht ein Gegenkaiser, nicht ein Aufstandsführer, nicht einer, der Frieden mit Gewalt durchzusetzen versucht und ihn mit hundert- und tausendfachem Tod zu bezahlen bereit ist. Hier wird der Neubeginn nicht an einen "starken Mann" geknüpft, sondern an ein Kind. Ein Friede wird sichtbar, der sich machtlos in die Zeiten einmischt und nach Menschen sucht, die sich von ihm bewegen lassen. Eine neue Art zu leben scheint auf - sie nimmt dieses Kind als Zusage an und versucht auch in einer zerbrochenen Welt wieder und wieder einen Neubeginn anzustoßen.

Zugegeben: Wenn man die Weihnachtsgeschichte, die Lukas seinen Lesern am Ende des ersten Jahrhunderts erzählt, mit deren Augen zu lesen versucht, ist sie nicht mehr ganz so friedlich, wie wir vielleicht meinen. Aber auch das gilt: Die Geschichte aus alten Zeiten wird so unvermittelt auch für die aktuell, die sich für den Übergang ins dritte nachchristliche Jahrtausend rüsten.

Prof. Claus-Peter März, Theologische Fakultät Erfurt