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Wo ist der neugeborene König der Juden?

Matthäus erzählt die Weihnachtsgeschichte völlig anders als Lukas: Er berichtet nicht vom Kaiser Augustus und den römischen Steuerforderungen, sondern von Sterndeutern, von der zwielichtigen Rolle des Herodes und vom Unterschied zwischen Jerusalem und Betlehem (Mt 2,1-12).


Zunächst zu den Sterndeutern oder - wie der griechische Text sagt - den "Magiern": Sie sind keine Juden, dennoch fragen sie nach dem neugeborenen "König der Juden". Obwohl sie Heiden sind, kommen sie nach Jerusalem und suchen bei den Juden das Heil. Jeder bibelkundige Jude weiß: Das ist für das Ende der Tage verheißen: Die Heiden werden nach Jerusalem kommen, um die Herrlichkeit des Herrn auf dem Zion zu schauen; alle kommen "von Saba, Gold und Weihrauch tragen sie und verkünden die Ruhmestaten Jahwes" (Jes 60,6).


Wenn ein damaliger Leser dann auch noch davon hörte, daß die Magier einen Stern haben aufgehen sehen, mußte ihm die Bileamsweissagung in den Sinn kommen: "...ein Stern geht auf in Jakob, ein Zepter erhebt sich in Israel" (Num 24,17). Er rätselte deshalb nicht darüber, welche Sterne da möglicherweise in Konjunktion zueinander gestanden haben könnten, sondern entschlüsselte die Geschichte vom Alten Testament her: Die Verheißungen sind erfüllt. Der Stern des Messias ist aufgegangen. Selbst die Heiden kommen, um dieses Heil zu sehen.


Dann finden sich in der Geschichte auch Gegenspieler, die sich den Plänen Gottes verschließen. Bei Herodes wird solches Verhalten den Leser nicht sonderlich verwundern. Betroffen aber wird er die Reaktion der Bewohner Jerusalems zur Kenntnis nehmen. Sie glauben ganz offensichtlich was die Sterndeuter erzählen, aber statt sich zu freuen, erschrecken sie darüber, daß Gott die Verheißungen erfüllt hat. Der Leser, der die Jesusgeschichte kennt, weiß natürlich, daß hier bereits auf Jesu Ende in Jerusalem angespielt ist: Jerusalem als Ort der Ablehnung und der Passion kommt in den Blick.


Jerusalem ist freilich auch deshalb so dunkel gezeichnet, damit ein anderer Ort um so heller leuchtet: "Betlehem". Das kleine "Betlehem" stand damals völlig im Schatten Jerusalems. Dennoch wußte der bibelkundige Leser um die besondere Bedeutung Betlehems - um seinen Vorzug gegenüber der Hauptstadt. Jerusalems jüdische Geschichte nämlich ging nur bis auf David zurück. Erst David nämlich hat Jerusalem, die alte Festung der Jebusiter, erobert und zum Zentrum des Reiches gemacht.


Betlehem dagegen war schon die Stadt seines Vaters Isai gewesen. Der damalige Leser wußte darüber hinaus, daß Jerusalem schon bald auch die Stadt des Niedergangs gewesen ist, jener Ort, an dem die Dynastie der Davids-Familie zerbrach. Er wußte, was es bedeutet, wenn Gott nicht wieder bei diesem Jerusalem ansetzte, bei dieser Stadt, die immer auch im Zwielicht der Macht gestanden hatte. Gott beginnt dort neu, wo er mit David schon einmal begonnenen hat: als er ihn "hinter der Herde weggeholt" und durch Samuel zum Herrscher gesalbt hat (1Sam 16). Betlehem ist der Ort der freien Erwählung Gottes gegen alle menschliche Berechnung und Versicherung - der Ort der Wurzel, der "Kindheitsmuster Israels", zu denen der Glaube immer neu zurückkehren wird.


Dem damaligen Leser waren diese Zusammenhänge klar, denn der Name Betlehem verband sich für ihn mit der Weissagung des Micha: "Du aber, Betlehem-Efrata, du fällst kaum auf in Judas Gebieten, doch aus dir wird mir einer hervorgehen, der in Israel Herrscher sein wird. Sein Ursprung liegt in grauer Vorzeit, in den Tagen der Frühzeit" (Mich 5,1). Und das will Matthäus mit seiner Weihnachtsgeschichte seinen Zeitgenossen verkünden: Die Verheißungen sind erfüllt. Der wirklich "neue" König Israels ist geboren und die Heiden kommen, um Gottes Herrlichkeit zu schauen - in den christlichen Gemeinden haben sie bereits ihren Platz gefunden und sind als Nichtjuden in die Verheißungen Israels eingetreten.

Prof. Claus-Peter März, Theologische Fakultät Erfurt