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Die Geschichte vom österlichen Fischfang

Eine Ostergeschichte ganz eigener Art wird am Schluß des vierten Evangeliums erzählt: die Geschichte vom "österlichen Fischfang" (Joh 21,1-14). Sie bildet zusammen mit dem folgenden Abschnitt (Joh 21,15-25) eine Art Anhang" zum vierten Evangelium. Diese Geschichte vom österlichen Fischfang" ist anders als die anderen Ostererzählungen; sie paßt auch nicht so recht zu den übrigen Ostergeschichten im Johannesevangelium. Es handelt sich um eine Geschichte ganz eigener Art: Die Jünger befinden sich nicht mehr in Jerusalem, sondern sind plötzlich wieder in Galiläa. Dort gehen sie ihrem Beruf nach und fischen. Beim Fischzug begegnet ihnen der Auferstandene. Geheimnisvoll und zunächst unerkannt wendet er sich ihnen zu, erteilt ihnen Weisungen und hält mit ihnen Mahl.

Gerade 'versierte' Bibelleser zeigen sich darüber verwundert, daß uns die Geschichte vom wunderbaren Fischzug als Ostergeschichte begegnet. Denn eigentlich erzählt Lukas diese Geschichte schon bei der Berufung des Petrus, und dort gehört sie auch hin: an den Anfang, als Petrus von seiner Arbeit weg in die Nachfolge Jesu gerufen wird (Lk 5,1-11). Die Lösung des Problems ist einfach: Joh 21,1-14 nimmt diese Geschichte des Anfangs auf und erzählt sie als Ostergeschichte. Das mag uns zunächst einmal verwundern, erscheint aber bei näherem Hinsehen ganz plausibel. Ostern wird als neue Berufung erzählt, die den ersten Anfang noch einmal aufnimmt. Die gilt gerade für Petrus, der den Herrn dreimal verraten hat und nun von ihm wieder neu als Jünger angenommen werden muß (vgl. Joh 21,15-19).

So setzt die Geschichte noch einmal ganz neu an: Die Jünger stehen wieder dort, wo alles begann. Hinter ihnen liegen der Karfreitag, die Angst, der Verrat des Judas, die Verleugnung des Petrus, die Flucht aus Jerusalem - und der Tod Jesu. Dem Leser ist deutlich: Aus eigener Kraft werden sie sich nicht mehr in Jesu Namen auf den Weg machen. Sie sind schon dabei, sich wieder in ihrem früheren Tätigkeitsbereich einzurichten - doch der Erfolg bleibt aus. In dieser Situation erscheint Jesus als der Unbekannt-Vertraute. Er gibt eine neue Weisung, und als die Jünger dieser Weisung folgen, stellt sich unvermittelt Erfolg ein. Ihre Netze sind gefüllt. Der Text weiß von 153 großen Fischen zu berichten. Als sie zurückkommen - benommen von dem, was da geschehen ist -, steht er am Ufer des Sees. Jener Jünger, der ihm besonders nahe stand, erkennt ihn. Er spricht seine Erkenntnis aus, dann begreift auch Petrus und läuft ihm entgegen - mitten durch das Wasser. Dann wechselt die Szenerie: Sie sitzen an einem Kohlenfeuer. Brot und Fisch liegen bereit für das Mahl. Er ist bei ihnen. Es ist nicht nötig, daß er identifiziert wird oder sich selbst identifiziert - sie wissen, ohne es aussprechen zu müssen: es ist der HERR. Unvermittelt wird die Geschichte zum Bild der nachösterlichen Gemeinde. Das Netz mit den vielen Fischen kommt dabei nicht aus dem Blick. Petrus zieht es an Land. Ihm war verheißen worden, daß er Menschenfischer sein werde (Lk 5,10). Nun soll sich diese Weissagung erfüllen, daran erinnert das Netz mit den vielen Fischen. Von 153 Fischen spricht die Geschichte wohl deshalb, weil man damals 153 Arten von Fischen kannte. Das heißt: Das Netz enthielt Fische aller Art - und das bestimmt den Auftrag des Petrus. Wie schon am Anfang gesagt: Es ist eine ungewöhnliche Ostergeschichte. Aber es ist eine Geschichte, die der Gemeinde unmißverständlich klar macht, wozu Ostern sie beruft: zur Mission im Namen des Herrn. Das ist der Kern der österliche Berufung. Mission wird für eine Gemeinde freilich nur dann möglich sein, wenn sie zugleich die geheimnisvolle Begegnung mit dem Auferstandenen wahrnimmt.

Prof. Claus-Peter März, Theologische Fakultät Erfurt