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Vision einer befreiten Welt

Jeder Bibelleser spürt, daß in Jesu Ausspruch "Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen" ein gewaltiges, Himmel und Erde berührendes Geschehen angesprochen ist. Dennoch stehen viele ein wenig ratlos vor diesem Bild.

Schon von der Sprache her wirkt der Satz märchenhaft und mythologisch. Hinzu kommt, daß uns manche Vorstellungen fremd erscheinen: Wieso stürzt der Satan aus dem Himmel, der doch der Raum Gottes ist? Und welche Bedeutung hat jene dunkle, dem Leben entgegenwirkende Gestalt - der Satan - überhaupt noch?

Der Zusammenhang des Spruches bei Lukas kann das Verständnias erleichtern: Da kehren die Jünger, die Jesus zur Mission ausgesandt hat, nach getaner Arbeit zu ihm zurück. Voll Freude berichten sie vom Erfolg ihrer Predigt, von Heilungen, die sie gewirkt haben. Staunend erzählen sie, daß ihnen selbst die Dämonen untertan waren. Sie spüren, daß da ganz Neues geschehen ist: Verzweifelte haben den Frieden angenommen, Kranke wurden heil - und selbst da, wo Menschen besetzt und besessen waren, ließen sich die dunklen Bande lösen.

Jesus deutet ihren Bericht und erzählt ihnen von einer Vision: "Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen." Das heißt: Es ist tatsächlich eine Wende geschehen. Der Herausforderer Gottes, der die Menschen von Gott wegziehen und sie dem Leben entfremden will - dieser dunkle Gegenspieler des Lebens ist gestürzt und entmachtet. Die Befreiung der Welt hat schon begonnen, auch wenn die Menschheit noch immer dem Zugriff dunkler Mächte ausgesetzt ist.

Mit den Vorstellungen der damaligen Zeit zeichnet Jesus so das Bild einer vom Bösen befreiten Schöpfung: Die Mission der Jünger stand im Zeichen dieses Umbruchs. Sie haben die Anfänge des Neuen geschaut. Sie haben fremdbestimmte, von dunklen Mächten geradezu okkupierte Menschen wieder freisetzen können - sie haben so im Kleinen schon jene Freiheit geschaut, die die Schöpfung auch insgesamt finden soll. Dies ist die neue Kunde, die sie sagen dürfen: Gott macht frei. Von ihm geht eine Dynamik zur Freisetzung der Schöpfung aus, der sich der Mensch anvertrauen kann.

So verstanden ist das Bild vom gestürzten Teufel auch heute noch aktuell. Es könnte neu daran erinnern, daß all unser kirchlich-religiöses Tun nicht auf uns selbst ausgerichtet sein darf, sondern einer Welt gilt, die frei sein soll. Jesu Wort sagt: "Ich sah die Fesseln der Welt zerbrochen zu Boden fallen."

Auch heute haben die Jünger Jesu bei dieser Aussage zu beginnen. Sie sollen sich eingliedern lassen in eine Bewegung, in der Gott diese Welt und ihre Menschen freisetzen will - von aller Fremdbestimmung, von aller tödlichen Abhängigkeit vom Bösen, von aller Verwicklung in zerstörerisches Machtstreben, von aller gottlosen Selbstbehauptung, von allen Praktiken, die dem Tod dienen.

Prof. Claus-Peter März, Theologische Fakultät Erfurt