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Auf dem Weg zu einer neuen Schöpfung

Hinter der Offenbarung des Johannes steht ein urchristlicher Prophet, der davon ausgeht, dass die Welt an ihr Ende gekommen ist und dem baldigen Gericht entgegen geht. Seine pessimistische Weltsicht macht sich nicht zuletzt am religiös begründeten Machtanspruch Roms fest. Der römische Staat mit dem Kaiser an der Spitze und getragen vom heidnischen Götterkult erscheint ihm wie ein widergöttlicher Moloch, der die Völker der Erde sich selbst entfremdet und Gottes gute Schöpfung mit seinem ungezügelten Machtgebaren okkupiert. In all dem sieht der Seher freilich nicht nur menschliche Selbstüberhebung am Werk, sondern die gottfeindliche Strategie des Teufels.

Das bekannteste Bild der Offenbarung des Johannes - die mit der Sonne bekleidete Frau und der feuerrote Drache (Offb 12) - sucht dies den Gemeinden zu enthüllen: Die Frau, die das Gottesvolk verkörpert, trägt das Kind, auf dem die Hoffnung der Welt ruht. Der Drache aber belauert sie, um dieses Kind zu verschlingen und mit ihm der Welt die Zukunft zu nehmen. Als ihm dies nicht gelingt, bietet er alle widergöttlichen Kräfte auf und tritt gegen Gott und den Heilsplan für die Schöpfung an.

Der Drache wird besiegt und auf die Erde herabgeschleudert, wo ihm bis zur vollständigen Entmachtung noch eine kurze Zeit verbleibt. Mit großem Grimm sucht er deshalb die "anderen Kinder der Frau" - die Glieder der christlichen Gemeinden - zu vernichten. Er überträgt dies zwei "Tieren", in denen der Leser unschwer das römische Staatswesen und die von ihm ausgehende Propaganda ausmachen kann (Kapitel 13). Mit bitterer Schärfe wird die Inszenierung des göttlichen Anspruchs Roms mit ihren erschreckenden Folgen für die Menschheit geschildert: Durch eine geradezu dämonische Strategie werden alle öffentlichen Bezüge gleichgeschaltet; die Menschen werden mit dem Signum der Unfreiheit bezeichnet und ihr Blick für jede andere Lebensmöglichkeit verstellt (Kapitel 13).

Der Prophet möchte mit diesem Bild gerade jenen in den christlichen Gemeinden, die sich ohne Berührunssängste in der heidnisch geprägten Öffentlichkeit bewegen, die Hintergründe der Geschichte auftun: Was ihnen nur gesellschaftliche Floskel ist, versteht er als Konsequenz der Strategie des Drachens, der über Rom Macht über die Menschen zu gewinnen sucht. Für ihn gibt es deshalb keinen Zweifel, dass diese Eskalation der widergöttlichen Mächte, den Beginn der Endzeit markiert. Denn der mit dem Kommen Jesu Christi eigentlich schon entmachtete Teufel sucht nur noch ohne Aussicht auf einen Sieg seine Wut auszuleben.

Ebenso deutlich aber ist, dass dieser Zustand nur von kurzer Dauer sein kann. Denn Gott wird seine Schöpfung wieder freikämpfen von allen widergöttlichen Mächten und sie am Ende so erscheinen lassen, wie sie seinem Bild entspricht.

Auf diesem Hintergrund haben wir die Ausführungen in Offb 4,1-20,15 zu lesen. Sie entwerfen in einer apokalyptischen Bilderfolge die Vision der endzeitlichen Auseinandersetzung zwischen Gott und den sich gegen ihn erhebenden Mächten, die der Drache aufgeboten hat. Auch wenn der Sieg Gottes in diesem kosmischen Streit von Anfang an nicht in Frage steht, werden die Menschen doch in die gewaltigen Eruptionen hineingezogen, in denen sich der Grimm der zum Scheitern verurteilten Mächte entlädt.

Von Beginn des 17. Kapitels der Offenbarung an kann man einen Prozess verfolgen, in dem schrittweise die zerstörerischen Mächte entmachtet und die Schöpfung der Freiheit zugeführt wird. Eine große Gerichtsszene (20,11-15) schließt die Befreiung der Schöpfung ab und vernichtet auch die letzten widergöttlichen Mächte. Die Menschen, die sich dem Bösen hingegeben haben und das Bild der Schöpfung entstellt haben, werden gerichtet. Selbst die alte Erde und der alte Himmel haben vor dem heiligen Gott keinen Bestand, sie "fliehen vor seinem Antlitz" und "es gab keinen Platz mehr für sie" (Offb 20,11). Am Schluss werden Tod und Totenreich vernichtet, weil die neue Welt eine Welt des Lebens sein wird, in der der Tod keine Macht mehr haben wird.

Dies alles entspricht nicht unserem Denken, und wir tun uns schwer, Gott mit diesen Ausbrüchen von Gewalt und Vernichtung in Verbindung zu bringen. Die Intention aber, die hinter all dem steht, erscheint verständlicher: Es ist von einem Prozess die Rede, in dem Gott seine Schöpfung wieder freikämpft und alles, was der Vollendung entgegen steht, entfernt.

Das Gericht in seinen verschiedenen Stufen hat für den Seher mit der Freiheit der Schöpfung zu tun. Auch wenn uns die scharfen und zerstörerischen Bilder auch weiter fremd bleiben werden, ist der Gedanke, dass eine sich selbst entfremdete Schöpfung sich vor Gott wiederfindet, befreiend.

Prof. Claus-Peter März, Theologische Fakultät Erfurt