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"Schließt keinen Frieden mit dieser Welt"

Jener Prophet, der sich in der Offenbarung des Johannes zu Wort meldet, sieht im römischen Staatskult den Beginn der letzten Rebellion der Menschheit gegen Gott. Für ihn steht deshalb außer Frage, dass nun Gott auf den Plan treten und im Weltengericht seine Schöpfung von allen widergöttlichen Mächten befreien muss. Dies sucht er den Gemeinden vor Augen zu stellen: Die geschichtliche Stunde verlangt von ihnen eine entschiedene Neuorientierung des Lebens: Bekenntnis, Widerstand und - wo es die Umstände verlangen - auch das Martyrium.

Der Prophet steht dabei in einer speziellen Tradition des Denkens und Redens, die in Israel während der krisenhaften Erfahrungen des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts entstanden und besonders in Krisenzeiten immer wieder aufgenommen worden ist. Wir bezeichnen sie entsprechend dem griechischen Wort "apokalypsis" (Offenbarung) heute als "Apokalyptik". Wollen wir die Botschaft der Offenbarung des Johannes nicht verzeichnen, wird es vor allem darauf ankommen, diese "apokalyptische Denk- und Redeweise", ihre Bilder und Visionen, angemessen zu interpretieren.

Der entscheidende Ansatzpunkt der Apokalyptik ist das Buch Daniel. Es stammt aus der Zeit, da Israel durch den Seleukidenherrscher Antiochus IV. Epiphanes bedrängt wurde (um 150 v. Chr.). Die Schrift nimmt zu dieser Krisen-Situation verschlüsselt Stellung: Sie ruft nicht zum Aufstand gegen Antiochus auf, bringt aber Bilder und Visionen als Mittel des Widerstands ins Spiel. Sie stellt den Menschen "Offenbarungen" vor Augen, die eine neue Sicht der Gegenwart vermitteln, sie enthüllt in Bildern, Träumen und Visionen, dass die Menschheitsgeschichte zu Ende gehe. Der Sturz aller widergöttlichen Mächte und die Aufrichtung der Herrschaft Gottes stehe bevor, denn das Maß menschlicher Selbstüberhebung sei voll.

Die Apokalyptik ist eine Denk- und Redeweise der Krise. Gerade wenn alles unsicher wird, suchen sich Menschen in Israel auf diese Weise neu an Gott zu binden. Bilder und Visionen, die auf die Zukunft ausgerichtet sind, sollen angesichts der schlimmen Erfahrungen mit der Gegenwart den Blick dafür öffnen, dass am Ende immer Gott steht. Das heißt: Die Bildersprache der Apokalyptik möchte die Menschen durch Bilder innerlich in Bewegung bringen, sich über die sichtbaren Mächte hinweg wieder auf den, der immer am Ende steht, zu verlassen - auf Gott. Der Untergang der sichtbaren Welt, das Gericht über die widergöttlichen Mächte dient in diesem visionären Bildprogramm dazu, den Blick auf Gott als Zielpunkt aller Geschichte wieder freizulegen. Dabei ist zu beachten, dass diese Denkweise emotional bestimmt ist und nicht informativ. "Sie will den Leser ∑ nicht primär dadurch beeinflussen, dass sie Informationen über bestimmte gegenwärtige und zukünftige Vorgänge gibt, sondern dadurch, dass sie Affekte mobilisiert. Sie spricht eine expressive ∑ Sprache, die die Leser beziehungsweise Hörer veranlasst, sich mit bestimmten Haltungen zu identifizieren. Sie beeinflusst ∑ die Gedanken, Einstellungen und Gefühle durch den Gebrauch wirkungsvoller Symbole" (J. Roloff).

Dem Leser soll etwas eröffnet werden, was ihm sonst verborgen ist und was menschliche Sprache eigentlich auch gar nicht auszusagen vermag: die Nichtigkeit der irdischen Mächte, deren Zerfall sich in ihrer Überhebung bereits ankündigt, und die durch nichts und niemanden einzuschränkende Souveränität Gottes. Er soll zur einer neuen Stellungnahme für Gott geführt werden, die auch angesichts der noch verborgenen Macht Gottes durchgehalten werden kann.

Johannes bedient sich bewusst dieser Denkweise, weil er die Welt, die ihm vor Augen steht, als verbraucht und verloren empfindet: Sie ist mit ihrem Götter- und Kaiserkult gegen den wahren Gott aufgestanden und im Innersten verdorben. Deshalb wird sie zerfallen und Gott wird eine neue Schöpfung an ihre Stelle setzen. Diese neue Welt hat in der Auferstehung Jesu Christi bereits begonnen. Der Glaubende tritt bereits mit der Taufe in sie ein, darf in ihr leben, auch wenn sie noch verborgen ist. Er ist freilich gehalten, diese Zugehörigkeit treu zu bewahren. Dazu möchte ihn der Prophet mit seinem apokalyptischen Blick "hinter die Kulissen der Geschichte" motivieren.

Will der heutige Leser die Offenbarung des Johannes verstehen, dann muss er sich diese Zusammenhänge vor Augen halten. Er muss die apokalyptische Sprache als offene Bildersprache aufnehmen, nicht aber als Information über die Zukunft. Sie will Menschen bewegen, nicht aber Daten und Termine anzeigen; sie will den Blick für das Ganze öffnen, nicht aber Ereignisse der nächsten Jahre beschreiben. Auch die geheimnisvollen Zahlen, die das Buch nennt, die Fristen und Zeiträume, die ins Spiel kommen, sind in diesem Horizont zu verstehen und zu deuten.

Wer dennoch meint, die Offenbarung des Johannes auf Hinweise hinsichtlich des Termins und der Abläufe des Weltenendes abfragen zu müssen, erfasst ihre Botschaft nicht, sondern liest seine eigenen Ängste in dieses Buch hinein. Er tut das Gleiche wie einer, der in einem Gedicht, nur weil es das Wort "Ankunft" enthält, etwas über den Zugfahrplan zu erfahren sucht. Er vergisst, dass da, wo in Bildern gesprochen wird, die Sprache einer anderen Logik folgt, als dort, wo Informationen weitergegeben werden sollen.

Prof. Claus-Peter März, Theologische Fakultät Erfurt