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Gekreuzigt als König der Juden

Palästina war zur Zeit Jesu geteilt: In Galiläa herrschte Herodes Antipas, im Gebiet an der syrischen Grenze sein Bruder Philippus. Judäa mit der Hauptstadt Jerusalem aber stand unter römischer Verwaltung und wurde von kaiserlichen Prokuratoren regiert. Dabei akzeptierten die Römer durchaus die Selbstverwaltung des Synhedriums in Jerusalem und auch die örtliche Gerichtsbarkeit. Sie behielten sich aber alle zentralen Entscheidungen vor, wozu in besonderer Weise auch die Blutgerichtsbarkeit gehörte: Das Recht, Kapitalprozesse zu entscheiden und Todesurteile zu fällen, stand dem römischen Prokurator zu. Dieser residierte zwar in Cäsarea am Meer. Er zog aber zum Pascha stets hinauf nach Jerusalem, um angesichts der vielen Festpilger militärische Präsenz zu demonstrieren. Zugleich nutzte er den Aufenthalt in der Stadt, um Gericht zu halten.


Dieser politische Hintergrund ist für das Verständnis des Prozesses gegen Jesus zu beachten: Jesus wird in der Paschanacht auf dem Ölberg von den Ordnungskräften des Tempels verhaftet (Mk 14,43). Er wird danach nur kurz von den entscheidenden Männern der Tempelaristokratie vernommen (Joh 18,12-24). Eine Sitzung des gesamten Synhedriums hat es in dieser Nacht sicher nicht gegeben. Bereits am nächsten Morgen wird Jesus der Gerichtsbarkeit des Pilatus überstellt (Joh 18,28). Die Tempeloberen - allen voran Hannas und Kajaphas - waren offenbar entschlossen, die Anwesenheit des Prokurators in Jerusalem zu nutzen und Jesus ohne allen Verzug aus dem Weg zu schaffen. Ihnen ging es dabei kaum um eine gerichtliche Sachklärung, die sie über jedes andere Gericht hätten erreichen können. Sie waren vielmehr von vornherein auf ein Todesurteil aus - denn nur in diesem Fall mußten sie die Gerichtsbarkeit des Pilatus anrufen (Joh 18,31-32).


Freilich konnten sie Jesus dem Prokurator nicht als einen Propheten präsentieren, der für die Erneuerung Israels eingetreten war. Denn sie wußten, daß sich die römischen Beamten aus innerjüdischen Streitigkeiten mit guten Gründen heraushielten (Apg 18,12-17). Sie mußten vielmehr verdeutlichen, daß Jesus eine Gefahr für römische Interessen darstellte. So brachten sie vor, er habe sich zum König der Juden machen wollen und somit indirekt zum Aufstand gegen Rom aufgerufen. Sie dürften darauf verwiesen haben, daß Jeus das Kommen der Königsherrschaft Gottes verkündigt habe, also im Namen Gottes doch eine andere Königsherrschaft in Israel aufzurichten suchte. Sie mögen auch an den Jubel beim Eintritt in die Stadt und sein Verhalten im Tempel erinnert haben. Auf alle Fälle gelang es ihnen, Pilatus den Eindruck zu vermitteln, daß dieser Prophet aus Galiläa ein politisches Risiko darstelle und den antirömischen Aufstandsgruppen nahestehe. Aus diesem Grund fällt der Prokurator schließlich das Todesurteil. Ganz im Sinne der Anklage stellt er fest, daß Jesus sich zum König der Juden habe machen wollen und damit gegen die römische Herrschaft rebelliert habe (Mk 15,26). Auf politische Verschwörung aber stand die Strafe durch Kreuzigung, die man als die schlimmste und schändlichste Strafe überhaupt empfand und deren Anwendung deshalb bei römischen Bürgern untersagt war - sie war den Sklaven und den Rebellen vorbehalten. So starb Jesus als politischer Aufrührer den Tod der Sklaven und Rebellen am Kreuz.


Wer nun hat Schuld am Tod Jesu? - Die Juden, wie es in den christlichen Kirchen über Jahrhunderte hinweg gesagt worden ist? Das Synhedrium, wofür die Passionsgeschichte der Evangelien sprechen könnte? Pilatus, der schließlich das Todesurteil gesprochen hat? Die Antwort ist deutlich: Das Urteil hat Pilatus gefällt: Es war ein römisches Verfahren, und römische Soldaten haben Jesus zur Exekution geführt. Betrieben aber hat seinen Tod offenbar eine kleine, aber einflußreiche Gruppe um Hannas und Kajaphas, die in Jesus eine politische Gefahr sah und die Anwesenheit des Prokurators nutzte, um sich des unbequemen Propheten schnell und unwiederbringlich zu entledigen.

Prof. Claus-Peter März, Theologische Fakultät Erfurt