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"Wir haben den Herrn gesehen..."

Probleme mit der Auferstehung hat es zu allen Zeiten gegeben. Auch in unseren Tagen fragen gerade manche Theologen kritsch nach, was das Osterbekenntnis bedeutet: Ist Jesus nach dem Tod seinen Jüngern wirklich als Lebender erschienen? Wie ist er ihnen erschienen? Hätten sie ihn überhaupt wahrnehmen können? Oder hatten sie nicht doch Halluzinationen - was man ja verstehen könnte, nach dem, was da geschehen ist?


Kehren wir noch einmal zur Verhaftung Jesu am Ölberg zurück: Die Jünger hatten zuvor noch Treue bis in den Tod versprochen. Als aber dann die Ordnungskräfte des Tempels zugriffen, war dies alles vergessen. Das Markusevangelium vermerkt fast lakonisch: Da verließen ihn alle und flohen (Mk 14,50). Danach überstürzten sich die Geschehnisse: 24 Stunden später ist Jesus schon tot, die Jünger haben Jerusalem verlassen und sind nach Galiläa zurückgekehrt. Schon beim Kreuz ist der engere Jüngerkreis nicht mehr zu finden, lediglich einige der Frauen schauen aus der Ferne zu (Mk 15,40f).


Was immer da im einzelnen geschehen sein mag, soviel ist deutlich: Die Jünger sind durch das Geschehen in Jerusalem in eine tödliche Krise geraten. Sie hatten geglaubt, daß Gott seinen Traum für eine neue Menschheit durch Jesus verwirklichen werde. Mit Jesu Tod aber scheint dieser Traum ausgeträumt zu sein. Die Mächtigen haben die Oberhand behalten und den Gerechten zerbrochen - nicht nur Jesus, Gott selbst hat sich als der Schwächere erwiesen. So gehen sie nach Galiläa zurück und wollen wieder ihrer vormaligen Tätigkeit nachgehen (vgl. Joh 21,1-14). Es ist nicht daran zu denken, daß sie aus eigener Kraft noch einmal aufbrechen werden, um im Namen und im Geist Jesu zu verkündigen. Dennoch gehen sie einige Zeit später wieder nach Jerusalem und verkündigen vor Israel. Was hat diesen Umschwung bewirkt?


Die Jünger selbst führen ihn darauf zurück, daß ihnen der Gekreuzigte als Lebender begegnet sei. Sie vermögen nicht zu beschreiben, was da mit ihnen geschehen ist, die Sprache versagt. So bekennen sie mit den Worten der Bibel: Wie Gott sei er ihnen erschienen“, aus der Welt Gottes habe er sich sehen lassen“, angetan mit der Herrlichkeit Gottes sei er ihnen entgegengetreten. Andere haben ähnliche Erfahrungen - ein neuer Anfang tut sich auf, der durch die Erscheinungen bewirkt ist. Paulus gibt seinen Gemeinden diese Anfangserinnerung schon wie ein festes Bekenntnis weiter, auf dem die Kirche gründet: daß der Herr zunächst dem Petrus erschien, dann den Zwölf, dann erschien er über fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch leben, einige aber sind entschlafen. Daraufhin erschien er dem Jakobus und allen Aposteln...“ (1Kor 15,5-7).


Doch - und diese Frage stellt sich schon für die ersten Zeugen - was bedeutet dieses Geschehen? Was bedeutet es, wenn sie den Gekreuzigten als Lebenden schauen - ganz anders zwar, jenseitig, weltenthoben, aber doch real? Soviel ist ihnen offenbar unmittelbar klar: Der Traum Gottes für eine neue Menschheit ist nicht ausgeträumt. Gott hat Jesus nicht verlassen, sondern ihn als seinen Boten bestätigt. Mehr noch: Er hat in ihm die Verheißungen erfüllt, ihn zu seiner Rechten erhöht und als Herrn und Richter eingesetzt. Vom Ostergeschehen her begreifen sie auch die Hoffnung auf die Auferstehung der Toten neu: In Jesus hat die endzeitliche Totenauferweckung bereits begonnen. So formt sich dann das Bekenntnis: Gott hat Jesus auferweckt - er ist der erste der Entschlafenen, der auferweckt wurde, er ist deshalb auch das Zeichen dafür, daß auch wir leben werden. Zunächst reichen kurze Formeln, Bekenntnisse, in denen die Christen diese Gewißheit einander zusagen. Später wird man Geschichten daraus formen, ins Bild setzen und in Worte formen, was die ersten Zeugen nur staunend mit dem Bekenntnis sagen konnten: Wir haben den Herrn gesehen.“

Prof. Dr. Claus-Peter März, Theologische Fakultät Erfurt