Das Meer im Stein

von Bettina Albrecht

Ein Stein ist kein Gegenstand; er ist eine Prüfung, eine Frage, eine Antwort.

Noch wissen die Teilnehmerinnen, die, gerade angekommen auf der Huysburg, Holzböcke aufbauen, Werkzeuge zurechtlegen und zu einem kleinen Steinhaufen gehen, nichts von dieser These. Sie sind der Einladung zu einem neuen Angebot im Bistum Magdeburg gefolgt: Steinbildhau-Tage für Mitarbeitende aus den Einrichtungen des Bistums. 

Es sind 5 Frauen. Drei von ihnen sind als Betreuungskräfte in einer Pflegeeinrichtung tätig, eine leitet eine Kita, eine andere arbeitet als Bildungsreferentin. Abstand von den beruflichen Anforderungen wollen sie gewinnen, sich sortieren, neu ausrichten, innere Kräfte ausfindig machen. Bestimmt kann man auch ein bisschen Ärger loswerden – wild auf den Stein einhauen? 

Jetzt wählen sie sich einen Stein aus, den sie in den nächsten zwei Tagen bearbeiten werden. Die Verantwortliche für das Angebot, Bettina Albrecht, Referentin im Fachbereich Pastoral ist dafür eigens in einen Kalkstein-Steinbruch gefahren und hat einige Brocken, jeder Stein zwischen 15 und 30 kg schwer, auf die Huysburg transportiert. Die Förderung des Projekts durch das Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken e.V. macht nicht zuletzt auch die Anschaffung der speziellen Werkzeuge und Arbeitsmaterialien möglich.

Perspektiven wechseln, Widerstände überwinden

In den nächsten zwei Tagen verwandeln sich die Steinklumpen tatsächlich in etwas Neues. Die Handhabung der Werkzeuge und die Steinbearbeitung des relativ weichen Kalksteins sind dabei schnell ausgelotet. Ganz anders verhält es sich mit der entstehenden Form. Was wird das hier eigentlich? Kriege ich das so hin, wie ich’s mir vorstelle? Und was nun, wo gerade was Wichtiges abgebrochen ist? Die Perspektive wechseln, auf Widerstände stoßen, Unvorhergesehenes integrieren – all das begegnet den Frauen, die sich um ihren Stein mühen. Manchmal wollen sie ihn am liebsten wegschubsen. Geht nicht: Der Stein ist zu schwer. Weggehen, ja! Aber beim Wiederkommen liegt das Ding immer noch da und weist auf die gleichen Schwierigkeiten von eben hin.

Wie gut, dass die Huysburg so viel Sicherheit, Ruhe, Gelassenheit und Ermutigung ausstrahlt – in allem. Diese Herzlichkeit tut gut. Abbrechen und Abreisen kommt also auf keinen Fall in Frage. Und mitten im Arbeiten ja auch das: Der Stein wird liebevoll poliert; nach jedem Wegpusten des Staubs gibt es ein aufmerksames Innehalten; der Stein wird zur besseren Bearbeitung auf ein sandgefülltes Kissen umgelagert.

Um die Holzböcke der Teilnehmerinnen sind inzwischen kleine Trittkreise im Rasen entstanden. Wie Ufo-Landeplätze sehen sie aus, als nach zwei Tagen alle Arbeitsgeräte wieder weggeräumt sind. Sie weisen auf eine ganz eigene Erkundungsreise der Teilnehmerinnen hin. 

Die Meereswoge im Stein

Eine Teilnehmerin beschreibt die so: „Ich wollte tatsächlich diesen Stein, ich sah eine Meereswoge in ihm: Ich liebe das Meer und bin sooft wie möglich dort. Aber dann wollte zunächst gar nichts klappen mit dem Meer im Stein. Ich dachte, dass ich das nie hinkriegen werde. Das sah ja überhaupt nicht so aus, wie ichs haben wollte. Aber dann allmählich, wurde mir der Stein vertrauter und ich arbeitete hinein, was mir wichtig ist. Für andere sieht er vielleicht noch immer nicht nach einer Meereswoge aus. Aber ich sehe sie und noch vieles andere mehr, von dem ich zu Anfang gar nicht wusste, dass das in meinen Stein sein soll.“

Die anderen Frauen erleben Ähnliches, und allesamt staunen sie über die veränderten Steine. Die sollen nun im Garten oder in der Wohnung einen Platz finden. Auf jeden Fall wollen die Frauen sie immer wieder anschauen können, um für die neuen Prüfungen und Fragen, eine Antwort zu sehen, die Halt gibt.