„Jemand muss nach dir Ausschau halten, Tag und Nacht“

Meine lieben Schwestern und Brüder im Herrn, lieber Herr Hohmann,

im Abschnitt aus dem Lukasevangelium, den wir eben gehört haben, fordert uns Jesus zu einer christlichen Lebenshaltung heraus, die die Grundlage nicht nur der zölibatären Lebensweise, sondern des priesterlichen Lebens überhaupt darstellt: „Seid wie Menschen, die auf die Rückkehr ihres Herrn warten“ (Lukas 12,36).

Der Priester muss einer derjenigen sein, der die Welt offen hält für die Wirklichkeit Jesu Christi und für die grundlegende christliche Hoffnung, dass der Herr wieder in die Welt und ihre Geschichte einbricht und sie zur Vollendung führt.
Die Schweizer Benediktinerin Silja Walter hat dies in ihrem berühmten „Gebet des Klosters am Rande der Stadt“ so zum Ausdruck gebracht:

„Jemand muss zuhause sein, Herr, wenn du kommst. Jemand muss dich erwarten, oben auf dem Berg vor der Stadt. Jemand muss nach dir Ausschau halten, Tag und Nacht. Wer weiß denn, wann du kommst? (…) Wachen ist unser Dienst, wachen. Auch für die Welt. Sie ist so leichtsinnig, läuft draußen herum und nachts ist sie auch nicht zuhause. (…) Herr, jemand muss dich aushalten, dich ertragen ohne davonzulaufen, deine Abwesenheit aushalten ohne an deinem Kommen zu zweifeln. Dein Schweigen aushalten und trotzdem singen. Dein Leiden, deinen Tod mitaushalten und daraus leben. Das muss immer jemand tun mit allen anderen. Und für sie.“

Diese christliche Lebenshaltung gilt nicht nur für das Kloster am Rande der Stadt Zürich, sondern auch für uns als Kirche in der thüringischen Diaspora.

Im Lukasevangelium motiviert Jesus auf zweifache Weise dazu, die Hoffnung auf seine Wiederkehr nicht aufzugeben:
Er fordert uns dazu auf, auf seine Rückkehr zu warten, so wie das Hauspersonal auf die Rückkehr des Herrn wartet, der auf einer Hochzeit ist. Jesus hat Hochzeitsfeiern überaus geschätzt. Bei der Hochzeit in Kana hat er dazu beigetragen, dass das Fest weitergehen konnte, ja er hat sogar die Welt des Himmels mit einem Hochzeitsmahl verglichen, so gut muss ihm die Fröhlichkeit orientalischer Hochzeitsfeiern gefallen haben. Wer von einer solchen Feier zurückkommt, ist vermutlich recht müde, aber auch voller schöner Erfahrungen und froher Begegnungen, von denen er gerne erzählen möchte, bevor er sich zu Bett begibt. Zudem muss das Hauspersonal nicht mehr viel für Verpflegung sorgen; von einer orientalischen Hochzeit geht niemand hungrig nach Hause. Die Begegnung mit dem zurückgekehrten Herrn ist also durchaus stressfrei und schön. Wer hört nicht gerne jemandem zu, der Frohes erlebt hat.

Dann kommt wieder eine überraschende Wende: Der zurückgekehrte Hausherr lässt sich nicht bedienen, nein, er lässt seine Diener am Tisch Platz nehmen und bedient sie der Reihe nach (Lk 12,37). Dies ist das Grundverständnis der Sendung Jesu, dass er nicht gekommen ist, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen (Mt 20,28 und Mk 20,45). Jesus hat sein ganzes Leben als Dienst am Erlösungswerk der Welt verstanden. So würden auch wir darauf vertrauen, dass uns Jesus bei seiner Rückkehr nicht Vorhaltungen macht und aburteilt, sondern dass er uns aufrichtet und Anteil an der Erlösung gibt: „Ich bin nicht gekommen, um die Welt zu richten, sondern um sie zu retten“ (Joh 12,47).

Sie, lieber Herr Hohmann, gehören nun auch zu denjenigen, denen Jesus zuruft: „Haltet auch ihr euch bereit!“ (Lk 12,40). Doch ist die Frage berechtigt, ob man dies überhaupt ein Leben lang machen kann. Ich bin mittlerweile seit 41 Jahren Priester und habe mich bei meinem Zugehen auf die Priesterweihe gefragt, ob ich diese innere Haltung der wirklichen Erwartung Jesu Christi ein Leben lang werde durchhalten können. Bei meinem Freisemester in Münster in Westfalen hat Prof. Johann Baptist Metz, der damals den Lehrstuhl für Fundamentaltheologie hatte, diese Bedenken durchaus bestätigt. In seinem Buch „Glaube in Geschichte und Gesellschaft“ aus dem Jahre 1977 hat er geschrieben:

„Es kann eine besondere Art von Identitätsmüdigkeit sein, Anzeichen für eine Vergreisungsgefahr, die alle Signale auf Sicherheit und Absicherung stellt, die sich lieber der Diktatur des Gewordenen und Fertigen unterwirft als dass sie sich auf den Weg einer Hoffnung machte, die auch noch Erwartungen hat.

„Immer noch fahren wir fort zu behaupten, dass wir wachen und auf den Meister warten. Doch wollten wir wirklich ehrlich sein, so müssten wir zugestehen, dass wir überhaupt nichts mehr erwarten.“ (Teilhard de Chardin)“ (S.158).

Teilhard de Chardin und Johann Baptist Metz haben durchaus Recht. Es ist eine große Herausforderung, ein Leben lang auf die Wiederkehr des Herrn zu warten und mit ihr wirklich zu rechnen. Für die Priester und Bischöfe gilt bei uns das Besoldungsrecht der Beamten. Wir schließen Versicherungen ab und bilden Rücklagen. Wir bemühen uns, Strukturen zu bilden, die für die Ewigkeit sind und kirchliche Gebäude zu errichten, die auch noch in Generationen nach uns von unserer Tüchtigkeit künden. Kann man so überhaupt wirklich auf die Rückkehr des Herrn warten?

Jesus gibt auch hierfür in dem Abschnitt aus dem Lukasevangelium, den wir gehört haben, einen Hinweis. Er vergleicht seine Wiederkehr nicht nur mit der Rückkehr des Hausherrn, der auf einer Hochzeit ist, sondern auch mit dem Einbruch eines Diebes. Und man kann tatsächlich ein langes Leben lang stets damit rechnen, dass ein Dieb einbrechen könnte. Da ich das schon zweimal erlebt habe, kann ich aus eigener Erfahrung sprechen. Ich schaue immer nach, ob die Fenster und die Türen abgeschlossen sind, bevor ich gehe. Ich mache alle paar Wochen eine Sicherungskopie, seit mein PC aus dem Arbeitszimmer des Pfarrhauses gestohlen wurde.

So stellt sich die Frage, wie sich unsere Erwartungen der Gegenwart des Herrn konkret auf unser Verhalten ausrichten. Dies ist eine Grundfrage der geistlichen Begleitung, ohne die man wohl kaum wirklich ein Leben lang in der Erwartung des Herrn tatsächlich leben kann. Ins Vater Unser hat uns Jesus eine ständige Erinnerung daran geschrieben: „Dein Reich komme“.

Lesungstexte

2 Kor 1-2, 5-7

Daher erlahmt unser Eifer nicht in dem Dienst, der uns durch Gottes Erbarmen übertragen wurde. Wir haben uns von aller schimpflichen Arglist losgesagt; wir verhalten uns nicht hinterhältig und verfälschen das Wort Gottes nicht, sondern machen die Wahrheit offenbar. So empfehlen wir uns vor dem Angesicht Gottes jedem menschlichen Gewissen. Wir verkünden nämlich nicht uns selbst, sondern Jesus Christus als den Herrn, uns aber als eure Knechte um Jesu willen. Denn Gott, der sprach: Aus Finsternis soll Licht aufleuchten!, er ist in unseren Herzen aufgeleuchtet, damit aufstrahlt die Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi.
Diesen Schatz tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen; so wird deutlich, dass das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt.

Evangelium (Lk 12, 35 – 40)

Eure Hüften sollen gegürtet sein und eure Lampen brennen! Seid wie Menschen, die auf ihren Herrn warten, der von einer Hochzeit zurückkehrt, damit sie ihm sogleich öffnen, wenn er kommt und anklopft! Selig die Knechte, die der Herr wach findet, wenn er kommt! Amen, ich sage euch: Er wird sich gürten, sie am Tisch Platz nehmen lassen und sie der Reihe nach bedienen. Und kommt er erst in der zweiten oder dritten Nachtwache und findet sie wach – selig sind sie. Bedenkt: Wenn der Herr des Hauses wüsste, in welcher Stunde der Dieb kommt, so würde er verhindern, dass man in sein Haus einbricht. ¬¬ Haltet auch ihr euch bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet.