„Wenn ich heute über das Gelände gehe, brauche ich eine Stunde länger“

Am Donnerstag, 28. November, ist es soweit. Dann wird die Birkunger Kirche St. Johannes der Täufer, die beileibe kein kleines Gebäude ist, gut gefüllt sein. Die Besucher sind keineswegs allesamt katholisch, und sie wohnen auch nicht gleich um die Ecke. Vielmehr werden einige Busse auch aus dem Süden Thüringens kommen. Denn an diesem Tag wird um 14 Uhr der zentrale ökumenische Polizeigottesdienst gefeiert. In dem wird der zwölf in diesem Jahr im aktiven Dienstalter verstorbenen Beamten und Bediensteten der Thüringer Polizei gedacht, deren Namen Innenminister Georg Maier verlesen wird. Für jeden Verstorbenen wird eine Kerze angezündet.

Außerdem wird Pfarrer Karl-Josef Wagenführ nach 25 Jahren als Landespolizeipfarrer verabschiedet. 

In diesem Vierteljahrhundert hat er in der Thüringer Polizeischule in Meiningen Berufsethik gelehrt. Er hat viel zu erzählen aus dieser Zeit. Die Achtung, die er für die Polizistinnen und Polizisten hat, schwingt in seinem Erzählen mit. Er sieht das breite Feld, auf dem Polizisten handeln müssen und anerkennt mit großer Wertschätzung, was sie leisten.

Er erinnert sich an die Anfangszeit, als er als ein Exot angesehen wurde, und wie er ihnen mehr und mehr zeigt, dass er keineswegs exotisch ist. Mit den Jahren wuchs das Vertrauen. Keine Selbstverständlichkeit. So manchen hat er durch eine Krankheit begleitet; es gab feste Uhrzeiten für Telefonate, auch täglich, und manchmal stundenlang. 

„Man ist mit ihnen gegangen, und nicht auf die Füße getreten.“

Das Milieu der Polizei lernt Pfarrer Wagenführ schätzen, als „eine echte Bereicherung“. Für ihn eine ganz andere Welt, für die resp. die Menschen in ihr, er eine große Offenheit postuliert und konsequent lebt.

„Wenn wir in die Welt hineinwirken wollen – das müssen wir, wir leben ja nicht auf einer Insel – dann müssen wir für die Menschen offen sein.“

Was er ihnen im berufsethischen Unterricht vermitteln will, ist, den Blick für den Menschen zu schärfen. Aber keineswegs missionierend. Die anfängliche Haltung von manch Auszubildenden, sich nicht von einem Pfarrer unterrichten zu lassen, ist komplett weg. Vielmehr erfährt Pfarrer Wagenführ auch ein Interesse an Glaubensdingen.

Er wird beim Wort genommen: „Sie haben doch gesagt, wir können mit allem zu Ihnen kommen.“ Und sie kamen. Manchmal mit Liebeskummer, manchmal mit dienstlichen Belangen, etwa wenn eine Versetzung anstand, oder anderen Nöten. Pfarrer Wagenführ hält Wort.

Er erinnert sich an die Frau, die ihn nach dem Tod ihres Mannes, er war Polizist, angerufen hat. Weil ihr Mann es so in seinem Testament verfügt hatte. Sie soll ihn wegen der Beerdigung anrufen.

Sehr genau erinnert er sich an jenen 26. April 2002, als er während des Religionsunterrichts in einer Worbiser Schule die Nachricht erhält, dass in einer Erfurter Schule geschossen wurde und dabei auch ein Polizist getötet wurde. Sofort macht er sich auf den Weg und kümmert sich. Erst um die Dienstgruppe des erschossenen Polizisten und denjenigen, der den Anruf vom Amoklauf entgegengenommen hatte; später auch um die verbliebenen Schüler und Lehrer, die aus dem Schulgebäude gebracht werden mussten.

„So viel Angst wie an diesem Tag habe ich nie wieder gesehen.“

Pfarrer Wagenführ war nicht nur Landespolizeipfarrer, sondern auch Notfallseelsorger. Als dieser hat er zusammen mit der Polizei fünf- bis sechshundert Todesnachrichten überbracht. Vor fünf Jahren hat er den Notfallseelsorgedienst beendet, als Konsequenz aus der Erfahrung, mit den vielen Aufgaben an seine Grenze gekommen zu sein. 

„Sich selbst als Mensch darf man auch nicht vergessen.“

Zum zentralen ökumenischen Polizeigottesdienst werden viele hunderte Polizisten kommen. Viele kennen ihn; er hat sie „groß werden“ sehen. Wenn ein neuer Ausbildungsjahrgang begann, kam es vor, dass ihm die Neuankömmlinge beste Grüße von den Ehemaligen ausrichteten. Mit den Jahren wurde sein Bekanntheitsgrad immer größer.

Der Landespolizeipfarrer lächelt verschmitzt:

 „Wenn ich heute über das Gelände gehe, brauche ich eine Stunde länger.“

 

Hintergrund:

Die Zentralen ökumenischen Polizeigottesdienste werden seit 1998 einmal im Jahr gefeiert und in ökumenischer Zusammenarbeit von den Landespolizeipfarrern der evangelischen und katholischen Kirche sowie dem Polizeiseelsorgebeirat gemeinsam vorbereitet. Erwartet werden Angehörige Verstorbener, Polizistinnen und Polizisten aus allen Ebenen und Dienststellen sowie zahlreiche und Anwärterinnen und Anwärter aus dem Bildungszentrum der Thüringer Polizei und Studierenden der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Fachbereich Polizei.
In Thüringen gibt es für die seelsorgliche Begleitung der Polizistinnen und Polizisten die beiden hauptamtlichen Landespolizeipfarrer der evangelischen und der katholischen Kirche sowie einige nebenamtliche evangelische Seelsorger und Seelsorgerinnen. Sie unterstützen die Polizeibeamten bei besonderen Herausforderungen, arbeiten im Kriseninterventionsteam der Thüringer Polizei mit, stehen für vertrauliche Gespräche zur Verfügung, beraten und machen geistliche sowie rituelle Angebote. Zu den Aufgaben der Landespolizeipfarrer gehören auch der berufsethische Unterricht an den Bildungseinrichtungen der Thüringer Polizei, Fort- und Weiterbildungen sowie die Einzelseelsorge für Polizisten und deren Angehörige.

Der diesjährige Gottesdienst wird gestaltet von Landespolizeipfarrer Karl-Josef Wagenführ gemeinsam mit Ulrich Matthias Spengler, Evangelischer Landespfarrer für Polizei- und Notfallseelsorge in Thüringen. Bischof Dr. Ulrich Neymeyr vom Bistum Erfurt hält die Predigt. Der Thüringer Innenminister Georg Maier wird die Namen der verstorbenen Beamten und Bediensteten verlesen und es wird für jeden Verstorbenen eine Kerze entzündet. Musikalisch gestaltet wird der Gottesdienst vom Bläserquintett des Thüringer Polizeiorchesters und Dr. Uwe Straubel, Leiter des Polizeiärztlichen Dienstes. An dem Gottesdienst ist außerdem der katholische Landespolizeiseelsorger Michael Turbiasz als Nachfolger von Pfarrer Wagenführ beteiligt.