Einladung zum österlichen Mahl

Meine lieben Schwestern und Brüder im Herrn,

am Gründonnerstag und am Karfreitag ist uns bewusst geworden, wie sehr die Feier der Eucharistie verbunden ist mit dem grausamen Geschehen des Karfreitags. Am Gründonnerstag deutet Jesus seinen Kreuzestod als Selbsthingabe: Das ist mein Leib, der für Euch hingegeben wird. Das ist mein Blut, das für Euch vergossen wird. Das letzte Abendmahl ist die Interpretation des Karfreitags als Selbsthingabe Jesu. Er wurde in unvorstellbarem Ausmaße Opfer, opferte nicht Etwas, sondern sich selbst, um uns Menschen so einen Weg zur Versöhnung und zur Erlösung anzubieten. Die Eucharistie bleibt immer mit dem Karfreitag verknüpft, mit dem Inferno von Schuld und Tod und der Sehnsucht nach Erlösung und Befreiung.

An Ostern rückt aber ein anderer Aspekt der Eucharistiefeier in den Mittelpunkt, nämlich die Feier des österlichen Mahles, in dem uns der Auferstandene einlädt, Gemeinschaft mit ihm zu feiern. Wir hören die Erzählungen, wie der Auferstandene mit seinen Jüngern Mahl gehalten hat. Die Erzählung von den beiden Emmaus-Jüngern, die den auferstandenen Jesus Christus erst erkannten, als er mit ihnen Mahl hielt und das Brot brach, ist ein großartige Einladung, dem auferstandenen Herrn Jesus Christus in der Feier der Eucharistie zu begegnen. Die Jüngerinnen und Jünger Jesu haben sich von Anfang an am Wochentag der Auferstehung versammelt. Es steht in der Apostelgeschichte mehr oder weniger beiläufig vom Aufenthalt des Apostels Paulus in Troas: „Als wir am ersten Tag der Woche versammelt waren, um das Brot zu brechen, redete Paulus zu ihnen, denn er wollte am folgenden Tag abreisen.“ (Apostelgeschichte 20,7).

Im zweiten Jahrhundert schreibt Justin der Märtyrer:

„An dem Tag, den man Sonntag nennt, findet eine Versammlung aller statt, die in Städten oder auf dem Land wohnen. Dabei werden die Denkwürdigkeiten der Apostel oder die Schriften der Propheten vorgelesen, solange es angeht. Hat der Vorleser aufgehört, so gibt der Vorsteher in einer Ansprache eine Ermahnung und Aufforderung zur Nachahmung all dieses Guten. Darauf erheben wir uns alle zusammen und senden Gebete empor. (…) Wenn wir mit dem Gebet zuende sind, werden Brot, Wein und Wasser herbeigeholt, der Vorsteher spricht Gebete und Danksagungen mit aller Kraft und das Volk stimmt ein, indem es das Amen sagt. Darauf findet die Ausspendung statt. Jeder erhält seinen Teil von dem Konsekrierten. Den Abwesenden aber wird es durch die Diakone gebracht. Wer aber die Mittel und guten Willen hat, gibt nach seinem Ermessen was er will, und das, was da zusammen kommt, wird beim Vorsteher hinterlegt. Dieser kommt damit Waisen und Witwen zu Hilfe, solchen, die wegen Krankheit und aus sonst einem Grunde bedürftig sind, den Gefangenen und den Fremdlingen, die in der Gemeinde sind.“ (Justin der Märtyrer, Erste Apologie Kapitel 67).

Was Justin der Märtyrer im zweiten Jahrhundert so nüchtern beschreibt, hat im Laufe der Geschichte sehr verschiedene Formen angenommen. Eine so kostbare Gabe wie die heilige Eucharistie ruft nach kulturellen Ausdrucksformen – in der verdichteten Sprache der Liturgie, in der Musik und Bildenden Kunst, in der Architektur und auch in der Dramaturgie der Feier. Die Größe des Geheimnisses, das wir feiern, verträgt eine Vielfalt, sowohl heute als auch im Laufe der Geschichte, sowohl in unserer römisch-katholischen Kirche als auch in den anderen christlichen Konfessionen. Es wurden und werden verschiedene Aspekte betont und hervorgehoben. Die heilige Eucharistie verträgt Vielfalt.

Der Wesenskern bleibt aber derselbe: Mahlfeier – österliches Mahl mit dem Auferstandenen – und Opfer – Vergegenwärtigung und Zuwendung des Kreuzesgeschehens.

In meinen Predigten am Gründonnerstag und auch am Karfreitag habe ich den sogenannten Opfercharakter der Heiligen Messe hervorgehoben. Es darf nicht ausgespielt werden gegen die Eucharistie als österliches Mahl. In der Feier der Eucharistie begegnet uns der Gekreuzigte und der Auferstandene. Er trägt die Wunden der Kreuzigung. Seine Gegenwart in der Eucharistie ist nicht statisch, sondern dynamische Selbsthingabe für uns, die wir auch am Ostersonntag die Wunden von Schuld und Tod tragen. Auch am Ostersonntag beten wir: Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und Deine Auferstehung preisen wir, bis Du kommst in Herrlichkeit.

So begleitet uns die heilige Eucharistie auf unserem Weg durch die Zeit und durch die Geschichte. Sie tröstet uns durch die Gemeinschaft mit dem auferstandenen Herrn Jesus Christus, sie provoziert uns, uns unserer Schuld und unserem Versagen zu stellen und die Mahnung des Epheserbriefes zu beherzigen:

„Ahmt Gott nach als seine geliebten Kinder und führt Euer Leben in Liebe, wie auch Christus uns geliebt und sich für uns hingegeben hat als Gabe und Opfer, das Gott gefällt.“ (Epheser 5,1-2).

Die heilige Eucharistie feiern wir, bis der Herr in Herrlichkeit kommt. Dann wird es das große himmlische Hochzeitsmahl geben, das Jesus schon beim letzten Abendmahl angekündigt hat. Unmittelbar nach den Einsetzungsworten heißt es im Markusevangelium:

„Amen ich sage Euch, ich werde nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken, bis zu dem Tag, an dem ich von Neuem davon trinke im Reich Gottes.“ (Markus 14,25).