Es gilt das gesprochene Wort!
Liebe Pilger,
das Jahr 2025 ist in unserer Kirche ein Heiliges Jahr, das unter dem Leitwort steht „Pilger der Hoffnung“. Es ist ein Leitwort, das Viele auf ihrer Pilgerschaft nach Rom begleitet, auch alle, die an der Bistumswallfahrt nach Rom im März teilgenommen haben und alle Messdienerinnen und Messdiener, die im Oktober nach Rom pilgern werden. Die Vorbereitungsgruppe der Männerwallfahrt hat sich dazu entschlossen, dieses Leitwort ein wenig abzuändern und unsere Wallfahrt unter das Thema „Pilger sind wir“ zu stellen. Dieses Leitwort gibt Gedankenanstöße zu wichtigen Fragen unserer Zeit.
Manches erkennt man eben nicht, wenn man sitzt
Pilgern ist im Eichsfeld weit verbreitet. Die Gläubigen begeben sich nicht nur auf kurze Pilgerwege, wie etwa heute Morgen hierher ins Klüschen Hagis, sondern auch auf lange Pilgerschaften nach Vierzehnheiligen oder Walldürn. Auch die große Wallfahrt nach Santiago de Compostela wird immer wieder von Eichsfeldern unternommen. Sie alle machen auf ihrer Pilgerschaft wichtige Erfahrungen und haben Zeit, über das eigene Leben nachzudenken. Manches erkennt man eben nicht, wenn man sitzt, sondern nur wenn man läuft. Üblicherweise sind wir schnell unterwegs: mit dem E-Bike, mit dem Auto oder dem Zug und erst recht mit dem Flugzeug. Pilgern entschleunigt: Pilger nehmen die Umgebung wahr, ihre Mitpilger und sich selbst.
Das alles trifft auch auf das Wandern zu, aber Pilgern ist laufendes Beten. Das unterscheidet eine Pilgerschaft von einer Wanderung. Der Pilger betet gemeinsam oder still. Er steigt aus dem Alltag aus und lebt bewusst mit Gott. Vielen Menschen ist Religion fremd geworden. Pilger nehmen sich Zeit für Gott. Sie vertiefen ihren Glauben und manche können beim Pilgern auch den Glauben erst entdecken. Pilgern verbindet Menschen aller Religionen, denn in allen Religionen gibt es Wallfahrten und Pilgerschaften. Kumbh Mela ist ein großes Hindu-Pilgerfestival und gilt als das größte Fest der Welt mit Millionen von Pilgern. Auch Mekka ist als Pilgerort weltbekannt. Pilgern verbindet die Menschen aller Religionen und kann zu einem Hoffnungszeichen werden, dass Religion die Menschen verbindet.
Asylrecht ist ein heiliges Recht
Der Pilger ist ein Fremder, denn das Wort Pilger, veraltet auch Pilgrim, stammt vom Lateinischen ´peregrinus´ oder ´peregrinari´ und heißt ´in der Fremde sein´. Das Fremdsein macht sensibel für die Fremden unter uns. Wer als Pilger anderswo ein Fremder war, versteht die Fremden in der Heimat und begreift das Wort Jesu: „Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen“ (Matthäus 25,35). Ich möchte hier nicht dazu aufrufen, die Menschen aus aller Welt, die zu uns kommen wollen, auch aufzunehmen. Ich möchte dazu aufrufen, die Fremden unter uns differenziert zu sehen. Zum Teil sind sie hier geboren und aufgewachsen, auch wenn sie eine andere Hautfarbe haben. Zum Teil brauchen wir sie dringend als Arbeitskräfte in allen Bereichen, besonders in der medizinischen Versorgung und in der Pflege. Zum Teil konnten sie gerade noch so aus ihrer Heimat fliehen, wo ihnen wegen ihrer Religion, ihrer politischen Einstellung oder aus vielen anderen Grünen der Tod drohte. Das Asylrecht ist ein heiliges Recht, besonders für uns Christen und für uns Deutsche. Vor 80 Jahren haben Juden verzweifelt versucht, Deutschland zu verlassen und anderswo Aufnahme zu finden, um ihr nacktes Leben zu retten. Als Deutsche können wir die Asylverpflichtung nicht an andere Länder abschieben. Die wichtigste Aufgabe ist und bleibt selbstverständlich, die Ursachen zu bekämpfen, die Menschen zur Flucht aus ihrer Heimat zwingen.
Pilger sind nicht nur fremd, sie sind mobil. Sie sind unterwegs. Das Zweite Vatikanische Konzil hat die Kirche als „pilgerndes Gottesvolk“ bezeichnet, und Papst Franziskus hat eigens einen Brief an das pilgernde Gottesvolk in Deutschland geschrieben. In der Kirchenkonstitution des Zweites Vatikanischen Konzils heißt es: „Die Kirche schreitet zwischen Verfolgung in der Welt und den Tröstungen Gottes auf ihrem Pilgerweg dahin und verkündet das Kreuz und den Tod des Herrn, bis er wiederkommt.“ (Lumen gentium Nr. 8). Mit einem mobilen Gottesvolk sind Immobilien eigentlich nicht vereinbar. Sie sind Gebäude, die dem kirchlichen Leben dienen. Wenn sie nicht mehr benötigt werden, kann man sie verkaufen. Bei der 40-jährigen Wanderung durch die Wüste war Gott in einem Zelt bei seinem Volk Israel. Es wurde immer wieder abgebrochen und anderswo aufgebaut.
Ein schlichtes Leben mit wenig Gepäck unterwegs mit der Schöpfung
Eine Grunderfahrung für Pilger ist ein schlichtes Leben mit wenig Gepäck, mit kargen Mahlzeiten. Pilger leben schlicht. Es ist uns nicht verheißen, dass unser Reichtum ständig steigt. Es steht nirgends geschrieben, dass das nächste Auto, das wir fahren, größer, schneller und teurer sein wird. Im Gegenteil, der Heilige Franziskus hat die Gefahren von Besitztümern deutlich beschrieben: „Wenn wir als Franziskaner irgendwelche Besitztümer hätten, bräuchten wir Waffen zu unserem Schutz. Daraus entstehen Rechtsfragen und Streitereien und in der Folge wird die Gottes- und Nächstenliebe gewöhnlich vielfach verhindert. Deshalb wollen wir in dieser Welt lieber nichts besitzen.“ Der Pilger lebt diese Haltung zumindest zeitweise.
Der Pilger ist unterwegs in der Schöpfung. Er lebt mit der Natur und er erfährt, dass die Schöpfung bedroht ist. In seinem Apostolischen Schreiben „Laudate deum“ von 2023 hat Papst Franziskus geschrieben: „Das Einhergehen der globalen Klimaphänomene mit dem beschleunigten Anstieg der Treibhausgasemissionen insbesondere seit Mitte des 20. Jahrhunderts lässt sich nicht verbergen. Eine überwältigende Mehrheit der Klimawissenschaftler vertritt diese Korrelation und nur ein winziger Prozentsatz von ihnen versucht diese Evidenz zu bestreiten. Ich sehe mich gezwungen, diese Klarstellungen, die offenkundig erscheinen mögen, aufgrund bestimmter abschätziger und wenig vernünftiger Meinungen vorzunehmen, die ich selbst innerhalt der katholischen Kirche vorfinde.“ Wer bewusst mit der Schöpfung lebt und nicht ohne oder gegen sie, wird schon in seinem persönlichen Leben darauf achten, die Schöpfung zu bewahren. Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend fordert schon seit 20 Jahren die jungen Menschen zu kritischem Konsum auf. Das heißt, sich kundig zu machen über die Herkunft dessen, was man kauft oder benutzt, und nur das zu wählen, was die Schöpfung möglichst wenig belastet.
Das Nachdenken über das Pilgern führt also zu vielen aktuellen Fragen, die heute in unserer Gesellschaft diskutiert werden und zu denen wir als Christen aus unserem Glauben heraus wichtige Beiträge leisten können.
Wir alle
Das Leitwort der diesjährigen Männerwallfahrt lautet „Pilger sind wir“: Das Wort ´wir´ klingt zunächst sehr positiv, weil es ja eine Gemeinschaftserfahrung voraussetzt. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass das Wort ´wir´ ein gefährliches Gegenüber hat, nämlich das Wort ‚die‘: Das kann schon bei dem Dorf anfangen, in dem wir wohnen. Ich sage es einmal mit meinem Heimatort: „Wir Herrnsheimer – die Abenheimer“. Sie können das gerne auf jedes Eichsfeldorf übertragen oder auf „wir Eichsfelder – die Thüringer“, „wir Ossis – die Wessis“, „wir Deutschen – die Ausländer“, „wir Europäer – die Amerikaner“. Wir leben in einer Zeit, in der Gruppen sich immer stärker voneinander absetzen. Man spricht sogar von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Was können wir tun? Gibt es ein Gegengift? Ein leichtes Gegenmittel ist der Begriff ‚ihr‘: ‚wir – ihr‘. In dieser Begrifflichkeit ist nämlich schon eine Möglichkeit zur Kommunikation angelegt. ‚Wir‘ und ‚Ihr‘ können sich vielleicht miteinander unterhalten und austauschen. Ein noch wirksameres Gegengift ist allerdings der Begriff ‚alle‘. Wir sind alle Menschen. Wir leben zur selben Zeit auf demselben Globus. Wir sind nun mal Landsleute eines bestimmten Landes oder wohnen in einem bestimmten Dorf und wir gehören nun mal zu dieser Familie: Aber Pilger sind alle!