Von christlicher Grundeinstellung geprägt

Am Freitag, 4. April 2025, wurde im Erfurter Dom das Requiem für den am 2. März verstorbenen Thüringer Ministerpräsidenten Dr. Bernhard Vogel gefeiert. Viele Politikerinnen und Politiker sowie Weggefährten nahmen daran teil. Unter der nachstehenden Predigt gibt es eine Bilddokumentation.

 

Lesung: Röm 12,7-10
Evangelium: Lk 12,42-44.45

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Dr. Voigt,
sehr geehrter Herr Landtagspräsident Dr. König,
sehr geehrter Herr Präsident des Verfassungsgerichtshof von der Weiden,
sehr verehrte Damen und Herren,
meine lieben Schwestern und Brüder im christlichen Glauben,

„Wer ist der treue und kluge Verwalter, den der Herr über seine Gesinde einsetzen wird?“ (Lk 12,42) Diese Frage Jesu aus dem Lukas-Evangelium können wir heute beantworten: Für Thüringen hat sich Herr Ministerpräsident Bernhard Vogel in den Jahren 1992 bis 2003 als treuer und kluger Verwalter erwiesen. Vielfach wurde er in Nachrufen als Glücksfall für Thüringen bezeichnet. Immer wieder wurde in Nachrufen beschrieben, mit welch großen Begabungen Herr Ministerpräsident Bernhard Vogel gesegnet war: Es waren nicht nur seine profunden Kenntnisse in den Politikwissenschaften, die er nach seinem Studium eine Zeit lang an der Universität in Heidelberg lehrte. Es war auch seine Geduld, sich mit Details zu befassen und dabei die großen Linien nicht aus dem Auge zu verlieren. Es war sein Durchsetzungsvermögen, das ihm half, das, was er als richtig erkannt hatte, auch zu realisieren. Es war sein wacher Blick für alle Menschen, für die er Verantwortung trug. Es war sein politischer Stil, der wie Bischof Dr. Joachim Wanke geschrieben hat, „durch Sachlichkeit und durch respektvollen Umgang auch mit politischen Kontrahenten geprägt war und auf ein festes Vertrauen auf gemeinsame nicht zuletzt demokratische Grundwerte baute, die auch heute gefragt sind.“ Alle seine Fähigkeiten hat er eingesetzt im Dienst an der politischen Verantwortung, in die er berufen worden war. Sein überaus zäher Eifer war sicher auch geprägt durch das Wort Jesu, das wir im Evangelium gehört haben: „Wem viel gegeben wurde, von dem wird viel zurückgefordert werden, und wem man viel anvertraut hat, von dem wird man umso mehr verlangen.“ (Lk 12,48)

Sein Eifer, seine Zielstrebigkeit und sein Durchsetzungsvermögen als Kultusminister in Rheinland-Pfalz konnte ich schon als Gymnasiast am Altsprachlichen Gymnasium in Worms kennenlernen, als dort die sogenannte Mainzer Studienstufe eingerichtet wurde, die die Ausbildung in den Oberstufen der Gymnasien grundlegend reformierte. Viele Lehrer sahen darin den Untergang der humanistischen Bildung, aber es wurde eine richtungweisende Reform.

Auch als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz in den Jahren 1976 bis 1988 stellte er seine Fähigkeiten in den Dienst des Landes, das mit seinen vielen schönen ländlichen Gebieten und einigen größeren Städten mit der Struktur Thüringens gut vergleichbar ist. Mit klugen Verkehrsprojekten wurde die Erreichbarkeit und damit die Entwicklung des ländlichen Raums gefördert.

Dass mit dem Leben auch Niederlagen verbunden sein können, musste Herr Ministerpräsident Bernhard Vogel auch erfahren. Aber er ließ sich dadurch nicht verdrießen und setzte seine vielfältigen Begabungen auch weiter für das Gemeinwohl ein. Die Aufgabe des Vorsitzenden der Konrad-Adenauer-Stiftung war für ihn kein Versorgungs- oder Ehrenposten, sondern er kümmerte sich mit großem Elan um die Stiftung und ihre Entwicklung – wohl immer in dem Bewusstsein, dass der Einsatz seiner Gaben auch vor Gott bestehen muss.

In dieser Haltung nahm er auch die Berufung zum Ministerpräsidenten des Freistaats Thüringen an. Dass es für einen Rheinland-Pfälzer nicht einfach ist, nach Thüringen zu wechseln, weiß ich aus eigener Erfahrung. Allerdings war dieser Wechsel im Jahr 1992 ungleich schwieriger. Herr Ministerpräsident Bernhard Vogel hatte 60 Jahre in der alten Bundesrepublik gelebt und sie politisch mitgestaltet. Nun wurde ihm politische Verantwortung übertragen für Menschen, die ganz andere politische und gesellschaftliche Erfahrungen gemacht hatten. Zudem war es die Zeit der umwälzenden „wirtschaftlichen Transformation“, wie es nüchtern und auch etwas verharmlosend heißt. Die Folgen dieser Transformation, wie zum Beispiel die Schließung des Kali-Bergwerks in Bischofferode, haben Herrn Ministerpräsident Bernhard Vogel zutiefst erschüttert. Im Bistum Erfurt sind wir ihm besonders dankbar, dass er von Anfang an auf staatlicher Seite die Gründung des Bistums Erfurt im Jahr 1994 begleitet und betrieben hat und dass der Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Thüringen aus dem Jahr 1997 seine Handschrift und seine Unterschrift trägt. Er hat sich auch maßgeblich dafür eingesetzt, dass im Jahre 1993 das philosophisch-theologische Studium als katholisch-theologische Fakultät Teil der Universität Erfurt wurde.

Als Ministerpräsident Bernhard Vogel im Jahr 2003 das Amt des Ministerpräsidenten in andere Hände legte, konnte man mit dem heutigen Evangelium sagen: Dem viel gegeben wurde, der hat auch viel für das Wohl der Menschen gebracht; dem viel anvertraut wurde, der hat die Erwartungen nicht enttäuscht. Er hat die Weisung des Apostels Paulus aus dem Römerbrief erfüllt: „Wer Vorsteher ist, setze sich eifrig ein.“ (Röm 12,8)

Sein politischer Stil war geprägt von einem weiteren Satz aus dem Brief des Apostels Paulus an die Römer, den wir in der heutigen Lesung gehört haben: „Seid einander in brüderlicher Liebe zugetan, übertrefft euch in gegenseitiger Achtung.“ (Röm 12,10) In dieser Haltung hat Ministerpräsident Bernhard Vogel wesentlich zum Aufbau der Demokratie in Thüringen beigetragen. Nicht nur sein persönliches, sondern auch sein politisches Leben waren geprägt von seiner christlichen Grundeinstellung und von seinem Glauben, dessen Heimat die katholische Kirche war. Immer wieder hat er die katholische Soziallehre mit ihren Grundsätzen der Solidarität, Subsidiarität und Personalität zitiert. Und es freut mich, dass er gesagt hat, seine Lieblingsorte seien der Speyrer und der Erfurter Dom.

Wir schauen dankbar auf sein politisches Lebenswerk zurück. Als Christen sind wir zuversichtlich, dass ihm Gott alle Mühe lohnen wird und dass er – wie Jesus im Matthäusevangelium gesagt hat – die Stimme hören wird: „Du tüchtiger und treuer Diener, kommen, nimm Teil am Freudenfest deines Herrn!“ (Mt 25,21)

Wir schauen aber nicht nur dankbar auf das politische Lebenswerk von Ministerpräsident Bernhard Vogel zurück, sondern wir begreifen es auch als Vermächtnis: Menschlicher Umgang miteinander, gegenseitige Achtung voreinander, respektvolles Reden übereinander sind genauso Säulen der Demokratie wie Hinhören aufeinander, Verständnis untereinander und die seltene politische Tugend, seine Meinung ändern zu können. Vor einem Jahr hat Herr Ministerpräsident Bernhard Vogel in einer Talkshow gesagt. „Ich freue mich, dass die Verantwortlichen von heute den Kontakt und den Rat mit mir wünschen und den gebe ich meistens nicht öffentlich.“ Seine Stimme und sein Rat werden uns fehlen. Als Christen sind wir getröstet durch die Worte Jesu: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben.“
 


Bischof Dr. Ulrich Neymeyr während der Predigt


Im Anschluss an den Gottesdienst hielt Ministerpräsident Mario Voigt eine kurze Ansprache im Gedenken an Bernhard Vogel


(V.l.) Josef Duchac, erster Thüringer Ministerpräsident, Dekan Bertram Wolf als Vertreter des Bistums Dresden-Meißen, Dieter Althaus (MP 2003-2009), Bischof Ulrich Neymeyr, Christine Lieberknecht (MP 2009-2014), Gerhard Stanke, ehemaliger Generalvikar des Bistums Fulda, Mario Voigt (amtierender Thüringer Ministerpräsident)

 

Fotos:  © TSK/Peter Hollek